Unfälle per 1 Milliarde Kilometer

Die Entfernungen, die Autofahrer in einem Jahr zurücklegen, unterscheiden sich zum Teil erheblich. Diese Tatsache wird berücksichtigt, wenn Experten das Unfallrisiko verschiedener Altersgruppen vergleichen und hierzu die Unfälle dieser Gruppen in Bezug zur Anzahl der in einem Jahr zurückgelegten Kilometer (Jahresfahrleistung) setzen. Daraus ergibt sich für Deutschland 2017 eine Kurve (Bild 1), aus der Folgendes abzulesen ist: Das auf die Fahrleistung bezogene Risiko, als Pkw-Fahrer bzw. -Fahrerin einen Unfall mit Personenschaden zu verursachen, ist bei den 18- bis 20-jährigen Autofahrern am höchsten. Das entsprechende Risiko für Personen ab 75 Jahre liegt zwischen dem der 21- bis 24-Jährigen und dem der 25- bis 29-Jährigen.

Bild1: Fahrleistungsbezogenes Verunglücktenrisiko verschiedener Altersgruppen (als Hauptverursacher bzw. verursacherin) [1];  Hintergrundfoto: copyright James Thew - stock.adobe.com.

Vergleicht man die aktuellen Ergebnisse mit denen aus dem Jahr 2008, so lässt sich erkennen, dass das fahrleistungsbezogene Verunglücktenrisiko bei den 18- bis 20-Jährigen deutlich gesunken ist. Gestiegen ist es dagegen bei den 21- bis 24-Jährigen. Bei Personen ab 75 Jahren ist dieses Risiko dagegen gesunken.

Die Darstellung in Bild 2 positioniert die verschiedenen Altersgruppen in einer zweidimensionalen Fläche, die durch die X-Achse mit dem o.a. fahrleistungsbezogenen Verunglücktenrisiko und durch die Y-Achse mit der Anzahl der Unfälle mit Personenschaden gebildet wird. Bei diesen Unfällen sind Pkw-Fahrer bzw. Fahrerinnen  als Hauptverursacher bzw. -verursacherin beteiligt. Es zeigt sich für 2017, dass die  18- bis 30-Jährigen am häufigsten an diesen Unfällen beteiligt sind. Die ab 65-Jährigen weisen von allen Altersgruppen die deutlich geringste Zahl dieser Unfälle auf. In Bild 2 werden die ab 75-Jährigen in zwei Altersgruppen repräsentiert. Die 75- bis 79-Jährigen liegen beim fahrleistungsbezogenen Verunglücktenrisiko auf dem Niveau der 25- bis 29-Jährigen, die ab 80-Jährigen auf dem Niveau der 21- bis 24-Jährigen.

Bild 2: Anzahl der Unfälle mit Personenschaden und Unfälle mit Personenschaden pro 1 Milliarde km (Pkw-Fahrer und -Fahrerin als Hauptverursacher bzw. -verursacherin beteiligt) [1]. Hintergrundfoto: copyright James Thew - stock.adobe.com.

Interpretiert werden sollten diese Ergebnisse vor dem Hintergrund der Entwicklung der Jahresfahrleistung (Zahl gefahrener Kilometer in einem Jahr) zwischen 2008 und 2017. Wie aus Bild 3 hervorgeht, ist die Jahresfahrleistung bei den 18- bis 20-Jährigen annähernd gleich geblieben, dagegen bei den 21- bis 24-Jährigen deutlich gesunken, wie insbesondere auch bei den 40- bis 44-Jährigen. Am stärksten gestiegen ist die Jahresfahrleistung bei den ab 75-Jährigen - um 94,5 %. Letzteres spricht für eine Verbesserung der Verkehrssicherheit von Seniorinnen und Senioren, die mit dem Pkw unterwegs sind: Ein verbesserter Risikowert (Bild 1) bei erheblicher Zunahme der Jahresfahrleistung (Bild 3). Bei den 21- bis 24-jährigen Pkw-Fahrern bzw. Fahrerinnen ist eine Verschlechterung des Risikowerts erkennbar (Bild 1) und das bei einer deutlichen Verringerung der in einem Jahr gefahrenen Kilometerzahl (Bild 3). Die Frage, warum sich der Risikowert gerade bei den 21- bis 24-Jährigen verschlechtert hat, bedarf zu ihrer Beantwortung einer eingehenden Analyse, die bislang noch aussteht.

Bild 3: MiD 2008 und MiD 2017: Jahres Fahrleistungen in Kilometer im Vergleich [1] [2]. Hintergrundfoto: copyright James Thew - stock.adobe.com.

Bei der Analyse des auf die Fahrleistung bezogenen Verunglückten- bzw. Getötetenrisikos  wird jedoch die  Tatsache ausgeblendet, dass die vorgegebenen Altersgruppen bezogen auf verkehrssicherheitsrelevante Personenmerkmale sehr inhomogen zusammengesetzt sind. Sie unterscheiden sich u. a. auch im Hinblick auf Fahrpraxis, Mobilitätsgewohnheiten, Motive, den Grad der Verletzbarkeit sowie Beeinträchtigungen der Fahrkompetenz, was sich auf das fahrleistungsbezogene Risiko auswirkt. Leider finden wir speziell hierzu in der Literatur keine entsprechenden Berechnungen. Mit einer Ausnahme: Wie die Psychologieprofessorin Liisa Hakamies-Blomqvist (VTI, Schweden) nachweisen konnte, haben Personen, die relativ wenig mit dem Auto unterwegs sind, ein deutlich höheres fahrleistungsbezogenes Unfallrisiko als Autofahrer, die erheblich mehr Kilometer am Steuer zurücklegen (wird in der Literatur  unter dem Begriff "Mileage Bias" diskutiert). Eine weitere Studie bestätigte dieses Ergebnis [3]. Danach zeigt sich ein hohes Unfallrisiko ausschließlich für Personen mit geringer jährlicher Fahrleistung. Das gilt für alle Altersgruppen, jedoch für junge Fahrer (18 bis 20 Jahre) und Senioren ab 75 Jahre in besonderem Maße. Die Auswirkungen der unterschiedlich ausgeprägten Fahrpraxis sind am deutlichsten bei den älteren Autofahrern zu erkennen. Verglichen mit allen anderen Altersgruppen haben Personen ab 75 Jahren, die mehr als 14.000 Kilometer im Jahr mit dem Auto zurücklegen, den niedrigsten Risikowert. Sie gehören nach dieser Analyse zu den sichersten Autofahrenden. Demgegenüber steht das hohe Unfallrisiko von Personen dieser Altersgruppe, die weniger als 3.000 Kilometer im Jahr fahren und damit annähernd das Risikoniveau junger Fahrer erreichen. Der Anteil dieser Wenigfahrer innerhalb der Stichprobe der Senioren, die 75 Jahre und älter sind, betrug etwas mehr als 10 % (Bild 4).

Bild 4: Fahrleistungsbezogenes Unfallrisiko verschiedener Altersgruppen getrennt nach Fahrleistungsgruppen; Daten von 2003 (Quelle: Langford, Methorst, & Hakamies-Blomqvist, 2006)

Für das erhöhte Unfallrisiko älterer Autofahrer mit einer geringen jährlichen Fahrleistung muss jedoch nicht notwendigerweise die fehlende aktuelle Fahrpraxis alleine verantwortlich sein. Dahinter können sich auch andere Ursachen verbergen, wie zum Beispiel starke Beeinträchtigungen in den grundlegenden Fähigkeiten oder der Fahrtüchtigkeit. So belegt zum Beispiel eine Studie aus den USA den starken Einfluss kognitiver Funktionsstörungen auf die Anzahl der in einem Jahr zurückgelegten Kilometer [4].

Außerdem bilden die o. a. Grafiken nicht das spezifische Mobilitätsverhalten älterer Menschen ab, was für einen Risikovergleich mit anderen Altersgruppen zu beachten ist. Mit dem Ausscheiden aus dem Berufsleben verändern sich in der Regel die Fahrzeiten und –strecken erheblich. Damit fallen zwar zusätzliche Risikofaktoren wie Zeitdruck, Stress und Hauptverkehrszeiten in der Regel weg, jedoch nimmt die Fahrpraxis ab, was wiederum (siehe oben) für die Verkehrssicherheit von Nachteil sein kann.

Wird bei der Berechnung des fahrleistungsbezogenen Risikos ausschließlich die Zahl der Getöteten zugrunde gelegt, so steigt die Risikokurve bei den Älteren ab 75 Jahre deutlich an [5, 6]. Bei der Interpretation dieses Ergebnisses ist zu beachten, dass die  körperliche Verletzbarkeit älterer Menschen wesentlich größer ist als bei den Jüngeren (wird in der Literatur  unter dem Begriff "Frailty" diskutiert). Jenseits des 75. Lebensjahres gehen Unfälle häufiger mit gravierenderen körperlichen Folgen für den Betroffenen einher als in jüngeren Jahren.

Die Darstellung des fahrleistungsbezogenen Risikos verrät schließlich nicht, welche Rolle die Fahrmotive in den jeweiligen Altersgruppen bei der Unfallverwicklung spielen. Junge Fahrer (18 bis 20 Jahre) haben auch bei einer mittleren jährlichen Fahrleistung (3.000 bis 14.000 km) immer noch ein deutlich erhöhtes Unfallrisiko. Wenn bei gleicher Fahrleistung das Unfallrisiko älterer Autofahrer geringer ist als das der Jüngeren, spielen unterschiedliche Fahrmotive sicherlich eine wesentliche Rolle. Darüber hinaus aber wird auch das auf Kompensation von Leistungsdefiziten ausgerichtete Mobilitätsverhalten Älterer seine Wirkung zeigen.

Aus den vorliegenden Ergebnissen darf nun keinesfalls die Empfehlung abgeleitet werden, alle älteren Verkehrsteilnehmer sollten nun viele Kilometer fahren, um ein gewisses Sicherheitsniveau aufrecht zu halten. Eine ausreichende Fahrpraxis wird demjenigen nutzen, der noch fit genug ist, Auto zu fahren. Für diejenigen, die durch alters- oder krankheitsbedingte Leistungseinbußen sowie durch die Einnahme von Medikamenten in ihrer Fahrkompetenz und Fahrtüchtigkeit stark beeinträchtigt sind, kann die Empfehlung nur lauten: Hände weg vom Steuer!

Literatur

[1] Holte, H. (2019). SENIORLIFE: Seniorinnen und Senioren im Straßenverkehr. Vortrag auf dem 15. Gemeinsamen Symposium der DGVP und DGVM "Chatten und Rasen - Schleichen und Schlafen: Risikoverhalten über die Lebensspanne" am 11.10.2019, Bonn.

[2]  MiD 2008 und MiD 2017

 

[3] Langford, J., Methorst, R. & Hakamies-Blomqvist, L. (2006). Older drivers do not have a high crash risk – A replication of low mileage bias. Accident Analysis and Prevention, 38, 574-578.

[4]  Vance, D. E., Roenker, D. L., Cissell, G. M., Edwards, J. D., Wadley, V. G. & Ball, K. K. (2006). Predictors of driving exposure and avoidance in a field study of older drivers from state of Maryland. Accident Analysis and Prevention, 38, 823-831.

[5]  Holte, H. (2018). Seniorinnen und Senioren im Straßenverkehr – Bedarfsanalysen im Kontext von Lebenslagen, Lebensstilen und verkehrssicherheitsrelevanten Erwartungen. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft M 285. Bremen: Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH.

[6] Schubert, K., Gräcman, N. & Bartmann, A. (2018). Demografischer Wandel - Kenntnisstand und Maßnahmenempfehlungen zur Sicherung der Mobilität älterer Verkehrsteilnehmer. Berichte der  Bundesanstalt für Straßenwesen,  Heft M 283. Bremen: Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH.