Ob in Frankfurt, Paris oder Los Angeles – zur Schau gestellt im Scheinwerferlicht großer Hallen, werden sie bewundert wie Popstars – schnittige Sportwagen, mondäne Luxusschlitten, kleine Alleskönner oder protzige Geländewagen. Für den verzückten Autofreund öffnet sich eine glitzernde, aufregende Technikwelt, sie lädt zum Träumen und zum Fachsimpeln ein, und sie wird für viele zum Geburtsort einer heimlichen Idee, eines stillen Plans, den automobilen Traum irgendwann einmal Wirklichkeit werden zu lassen.
Es ist vielfach beobachtet und literarisch verewigt: Das blecherne Objekt der Begierde kann Empfindungen wecken, wie man sie sonst für nahe stehende Personen oder für lieb gewonnene Haustiere aufbringt. Schon lange beschäftigt die Forscher die Frage, wie es passieren konnte, dass aus der rollenden Maschine ein guter Freund, ein begehrtes Objekt oder ein enges Familienmitglied des Menschen werden konnte. Indem er dieser Maschine einen Namen gibt und ihr einen bestimmten Charakter bescheinigt, haucht der Mensch ihr eine metaphysische Existenz ein, gibt ihr eine Wertigkeit, die sie über alle anderen Maschinen des Alltags erhebt.
Die Antwort darauf ist eigentlich gar nicht so kompliziert. Sie stützt sich vor allem auf die immense Bedeutung, die diese Maschine für den Einzelnen und für die ganze Gesellschaft besitzt. Die Zahlen sprechen für sich. Seit 1965 hat sich der Bestand an Kraftfahrzeugen in Deutschland mehr als vervierfacht. Mehr als fünfzig Millionen Kraftfahrzeuge (darunter 43 Millionen Pkw) rollen inzwischen auf deutschen Straßen [1]. Vergleichbare Entwicklungen gibt es in vielen europäischen Ländern und wird es auch bald in den Ländern geben, die auf dem Sprung sind, eine Wirtschaftsnation zu werden.
Die besondere Beziehung des Menschen zu seinem fahrbaren Untersatz erklärt sich aus dem, was er für den Menschen leistet. Unabhängig von einer ästhetischen Anmutung hat das Auto seinen Besitzern eine Reihe von Vorzügen und Diensten zu bieten. Sie von A nach einem weit entfernten B schnell und bequem zu befördern, ist einer davon. Der automobile Mensch ist relativ unabhängig von Zeit und Raum, lässt man einmal bestimmte Mobilitätsfallen wie Stau oder Umleitungen außer Acht. Der Gewinn ist ein einzigartiges Maß an Unabhängigkeit, Freiheit und Selbständigkeit und damit verbunden ein buntes Spektrum an Möglichkeiten, sein Leben erfolgreich, angenehm und kurzweilig zu gestalten.
Aber das Auto kann noch mehr. Es bietet seinem Besitzer die Möglichkeit, sich anderen auf ganz individuelle Weise mitzuteilen. Wenn Menschen kommunizieren, dann sagen sie nicht immer die Wahrheit und lassen sich ungern in die Karten schauen. Häufig sind Lüge, Täuschung, Blendung, Angabe, Protzen oder auch Provokation wesentlicher Bestandteil einer Kommunikation. Das Blechkleid eines Autos kann erheblich dazu beitragen, einen bestimmten Eindruck nach außen hin zu erwirken. Je nach Form, Gestaltung, Ausstattung und Marke verrät es persönliche Lebenseinstellungen, politische Gesinnungen, Lebensstile und persönlichen Geschmack oder es symbolisiert Macht, Reichtum und Besitz. Es stellt somit für andere sichtbar einen bestimmten sozialen Status dar. Nach den Lehren der Evolution ist ein hoher sozialer Status eines Mannes ein sichtbares Zeichen für seinen zukünftigen Fortpflanzungserfolg [2].
Das Auto unterstützt aber auch das Ausleben und Ausdrücken von purer Lebensfreude oder intensivem Glücksempfinden. Während der Fußballweltmeisterschaft 2014 feierten abertausende euphorisierter Autofahrer in kilometerlangen Autokorsos ausgelassen die Siege ihrer Mannschaft – hupend, Fahnen schwenkend, jubelnd – und setzten für einige Stunden die Regeln des Straßenverkehrs für sich außer Kraft. Scheinbar gelingt es hierzulande nur König „Fußball“, die Menschen in einen kollektiven Glücksrausch dieses Ausmaßes zu versetzen.
Unverkennbar: Das Auto erfüllt wichtige Dienste in der Kommunikation und in der Selbstdarstellung seiner Besitzer. Darüber hinaus aber verhilft es einem Fahrer oder einer Fahrerin zu einem ganz besonderen Erlebnis. Für den einen ist es die Geschwindigkeit, für den anderen der Komfort oder die besondere Privatsphäre, die ihn oder sie von den vielfältigen nervigen Einflüssen des Alltags abschirmt. Die bewegliche Parzelle Auto schützt nicht nur vor Kälte, Regen oder Schnee, sie schützt auch vor dem Einfluss unerwünschter sozialer Kontrolle. Dabei bilden sich Gefühle der Sicherheit und der Zufriedenheit heraus.
Häufig jedoch gedeihen darin auch Übermut und Leichtsinn. Aber mehr noch: Am Steuer eines Autos erwachen mitunter Machtgefühle, die vielen Menschen in ihrem nicht-automobilen Alltag fremd sind. Und diese Machtgefühle können entstehen, weil auf der Straße die Regeln der hierarchisch strukturierten Organisationen, in denen sie untergeordnete Positionen bekleiden, nicht mehr gelten und das Auto scheinbar ein probates Mittel ist, das Bedürfnis nach Machtausübung zu befriedigen. Auf diese Weise trägt die Straße dazu bei, Machtverhältnisse neu zu definieren.
In der Erlebniswelt eines Autofahrers spielt aber auch das Gefühl von Kompetenz eine wichtige Rolle. Der Erwerb von Kompetenz ist eines der wichtigsten Bedürfnisse des Menschen. Das Gefühl, kompetent zu sein, kann ein Mann erleben, wenn er unter Beweis stellt, dass er diese Maschine beherrscht und er die Technik begreift, die darin steckt. Leider bewirken starke Kompetenzgefühle auch eine Verstärkung des Sicherheitsempfindens, was fatale Auswirkungen hat, wenn das Gefühlte von der Wirklichkeit abweicht. Die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten ist insbesondere bei jungen Fahrern eine maßgebliche Unfallursache. Besonders gefährlich ist es, wenn Kompetenzen in halsbrecherischen Wettfahrten gemessen werden. Wie für den Profi-Rennfahrer geht es bei einem Sieg auch noch um eine Steigerung des Ansehens bzw. der Beliebtheit.
Das Erleben von Kompetenz kann ein extrem starkes Glücksgefühl hervorrufen, das der ungarische Glücksforscher Mihaly Csikszentmihaly als „Flow-Erlebnis“ bezeichnet hat. Seiner Ansicht nach kann man erst dann ein derart intensives Gefühl erleben, wenn man sich einer Herausforderung stellt und sein ganzes Können und seine ganze Aufmerksamkeit auf das Erreichen eines Zieles richtet. Das Fahren am Limit kann eine solche Herausforderung sein. Der „Glücksrausch“ ist dann der Lohn für die Bündelung aller Anstrengungen. Der Preis für das Misslingen ist eine schwere Verletzung oder der Tod.
Der Spaß an der Geschwindigkeit macht für viele den Reiz des Fahrens aus. Die Frage, warum das eigentlich so ist, hat die Forscher bislang noch nicht so richtig beschäftigt. Geschwindigkeit, so ließe sich mutmaßen, speist unsere Sinne mit neuen Eindrücken, mit neuen Reizen, die wir gierig aufnehmen und damit auch unsere beständige Neugier befriedigen können. Neugier ist ein starker Antrieb des Menschen, seine Umwelt zu erkunden. Geschwindigkeit ist ein probates Mittel, diese Neugier zu befriedigen. Zahlreiche Automobilisten der ersten Stunde nutzten das neue Tempo, um die Welt zu erkunden, um ihren Wissens- und Erlebnisdurst zu stillen. Neue und intensive Sinneseindrücke zu erleben, Landschaften filmisch an den Augen vorbeiziehen zu lassen, das ist aber nur eine unter den „belohnenden“ Erlebnisformen, die beim Schnellfahren auftreten können. Andere sind die Sensation eines Adrenalin-Kicks (Angstlust), und – wie bereits erwähnt – das Erleben eines „Flow“, die Erfahrung von Kompetenz und ein dadurch gesteigertes Selbstwertgefühl, das Erlebnis von Freiheit und Grenzenlosigkeit, von Macht und Stärke, oder einfach der Spaß am schnellen, komfortablen Rollen und Dahingleiten. Dabei ist Geschwindigkeit häufig nicht die alleinige Ursache für die aufkommenden Gefühle. Meistens ist sie nicht unabhängig vom Einfluss des Kompetenzerlebens und des Erlebens einer Wettbewerbssituation (Erwartung eines Gewinns). Für manche Personen ist es das perverse Spiel mit der Ungewissheit, das einen hohen Belohnungswert für ein riskantes Verhalten verspricht. Gesteuert von ihrem grenzenlosen Vertrauen in die eigene Genialität, jede Geschwindigkeit zu beherrschen, streben sie danach, das Maximum eines Gefühles auszuleben, was nur möglich ist, wenn die Gefahr überwunden und das Schicksal überlistet ist. Ein gefährliches Spiel, das durch hohe Geschwindigkeiten erst seinen besonderen Reiz erhält [3].
Man könnte sagen, es sind die vielfältigen Dienste des Automobils, die seine einzigartige Wertschätzung begründen. Kritiker der automobilen Gesellschaft jedoch klagen an, Autos töten und verletzen Menschen, sind laut, stinken, schädigen die Umwelt und verursachen dadurch enorme Kosten oder sie machen krank. Nicht zuletzt ist die Existenz des Autos für viele zu einer Notwendigkeit geworden, um das Leben zu meistern. Zur Arbeit fahren, Einkäufe tätigen, Kinder wegbringen und abholen – die Liste der Aufgaben und Pflichten, die mit Hilfe des Autos erledigt bzw. erfüllt werden, weil es keine bessere, kostengünstigere, schnellere oder komfortablere Alternative zu geben scheint, ließe sich endlos fortführen. Unsere Gesellschaft hat sich über Jahrzehnte hin in zunehmendem Maße auf automobilen Transport ausgerichtet und Strukturen geschaffen, die eine dominierende Autokultur widerspiegeln. Das Land ist von einem gigantischen Netz von Straßen überzogen. Diese Straßen führen zu anderen Städten, zu Vororten, zu Einkaufszentren, zu Krankenhäusern, Erlebnisparks, zu Orten also, die für den Fußgänger oftmals nicht mehr erreichbar sind. Auch wenn Autofahrer gelegentlich auf alternative Fortbewegungsmittel umsteigen, als Pendler mit dem Zug oder der Straßenbahn, der völlige Verzicht auf das Auto erscheint vielen Menschen undenkbar. Zu sehr hängt für diese das Lebensglück von der Verfügbarkeit eines Automobils ab.
[1] Siehe Internetpublikation des Kraftfahrtbundesamtes: www.kba.de. [2] Holte, H. (2000). Rasende Liebe. Warum wir aufs Auto so abfahren (und was wir dabei bedenken sollten). Stuttgart: Hirzel-Verlag. [3] Holte, H. (2005). Autokult. Bekenntnis zwischen Leidenschaft und Notwendigkeit. Zeitschrift für Verkehrserziehung, 2, 29–33.