Helden im Hippodrom

Eine Weiterentwicklung des flotten Streitwagens war die Sportwagenausführung. Er bot nur dem Fahrer Platz, war leicht, wendig und besaß kleine Räder, wodurch der Schwerpunkt nun viel tiefer lag. So erhielt das Fahrzeug eine bessere Straßenlage, was sich natürlich in den Kurven besonders auszahlte.

Die ersten Wagenrennen fanden aller Wahrscheinlichkeit nach im dreizehnten vorchristlichen Jahrhundert auf mykenischen Begräbnissen statt. Sie dienten der Ehrung der Verstorbenen, die zu Lebzeiten hohes Ansehen genossen hatten. Seit 680 v. Chr. standen Wagenrennen auf dem Veranstaltungsprogramm der Olympischen Spiele und erfreuten sich allergrößter Beliebtheit. Da ein Sieg dem Besitzer der Gespanne und nicht den Wagenlenkern zugeschrieben wurde, war es im antiken Griechenland auch für die von allen athletischen Wettkämpfen ausgeschlossenen Frauen möglich, zu olympischen Ehren zu gelangen, wie der spartanischen Königstochter Kyniska, die sich obendrein preisen durfte, als erste Griechin in die Annalen der Olympischen Wettkämpfe einzugehen.

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Bild: Poniol

Im antiken Rom galt der Rennsport als Freizeitspaß erster Güte, für den die Fans keinen Pfennig zahlen mussten. Viele von ihnen fieberten dem großen Ereignis so sehr entgegen, dass sie gerne eine halbe Nacht opferten, um sich in der größten Sportarena des Reiches, dem Circus Maximus, einen guten platz zu sichern. Sie waren der Faszination des Rennsports mindestens genauso erlegen, wie heute die Zuschauer bei einem Formel-1-Rennen in Monza oder Hockenheim. Vier Teams kämpften um die Siegespalme: die Weißen, die Roten, die Grünen und die Blauen (später gab es noch kurz die Violetten und Goldenen). Es waren Renngesellschaften mit weit verzweigten Organisationen, an deren Spitze mächtige Direktoren standen, die bestimmten, wie viel jemand für die Ausrichtung von Wagenrennen zahlen musste. Die Fans fühlten sich dieser Renngesellschaft ganz eng verbunden. Das war der »Verein«, mit dem man sich identifizierte und Wetten gewinnen wollte. Aber auch damals schon artete unerschütterliche Vereinstreue häufig in Fanatismus aus. Harmlos aber originell sind dabei die Versuche einiger Anhänger, ihrem Verein mit Magie und Zauberei zum Sieg zu verhelfen. Man legte einfach Verfluchungstäfelchen aus Blei in Gräber hinein und hoffte, die dort hausenden Dämonen würden den Gegner im Rennen zu Fall bringen.

Wie aber erging es dem Rennfahrer im Hexenkessel des 600 Meter langen und 150 Meter breiten Hippodroms wirklich? Die Zügel fest um die Taille geschnürt, trieben die römischen Rennprofis ihre Rosse im vollen Galopp bis ans Limit. Wer aus der Kurve flog, der musste schon viel Glück haben, nicht von nachfolgenden Wagen überrollt zu werden. Ein Gestürzter, der es nicht schaffte, seine Zügel loszuschneiden, wurde von seinen eigenen Pferden zu Tode geschleift. Die sensationsdurstigen Römer bekamen also reichlich Nervenkitzel geboten, wahrscheinlich noch ein wenig mehr als das vom Rennfieber angesteckte Publikum im heutigen Formel-1-Zirkus. Dafür sorgte allein schon das lockere Regelwerk: Rempeln, Rammen und Abdrängen waren erlaubt. Wer seinen Gegner mit der Peitsche attackierte, der brauchte nicht zu befürchten, verwarnt oder gar disqualifiziert zu werden. Im verbissenen Kampf Mann gegen Mann herrschte das Recht des Stärkeren.

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Bild: Midx1004

Der Sieger wurde als Held gefeiert und erhielt außer der Siegespalme jede Menge Geld. Der aus Spanien stammende Caius Appuleios Diocles, seinerzeit so berühmt wie Michael Schumacher oder Sebastian Vettel, verdiente mit über tausend Siegen ein Vermögen von mehr als 30 Millionen Sesterzen und zählte damit zu den Superreichen seiner Zeit. Ein Pfund Brot kostete damals etwa eine Viertel Sesterze!

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Bild: Hardy Holte; Formel 1-Rennen in Südafrika 1993, Alain Prost (führend) und Michael Schumacher.

Damals wie heute wechselten die Fahrer das Team, wenn man ihnen ein lukrativeres Angebot machte. Und so manch einer trug daher im Laufe seiner Rennfahrerkarriere die Tunika in allen möglichen Farben, so auch der Megastar Caius Appuleios Diocles. Der echte Fan aber machte diese Wanderungen nicht mit; denn er liebte ja sein Team und hielt ihm die Treue. Von den dunklen Machenschaften, die sich gelegentlich hinter der Bühne abspielten, konnte er allenfalls nur etwas ahnen. Einer, der gerne den Ausgang eines Rennens bestimmen wollte, war Kaiser Caligula, Gründer eines neuen Teams - der »Grünen«. Der vom Cäsarenwahn befallene Pferdenarr ließ siegreiche Gegner - Fahrer und Pferde - gelegentlich unauffällig liquidieren. Übrigens spielte er mit dem Gedanken, seinen Lieblingshengst »Incitatus« zum Konsul zu ernennen. Einen Stall aus Marmor und einen pompösen Palast hatte das hochgeschätzte Tier bereits bekommen, aber auf den Titel musste es leider verzichten, da man sich vorher des römischen Kaisers entledigte.

Ein anderer Pferdeverrückter war Kaiser Nero. Auch er verfolgte die Wagenrennen mit großer Leidenschaft, trat sogar im Circus Maximus und bei Olympia selbst als Wagenlenker auf. Daheim spielte er gerne mit kleinen Vierspännern aus Elfenbein. Mit einem Wagenspiel der perversen Art vergnügte sich der hemmungslose Kaiser Holiogabalus. Anstelle der Pferde ließ er junge unbekleidete Frauen anschirren und fuhr mit ihnen durch den Palast.