Demenz und Autofahren

Demenz bezeichnet eine irreversible Störung der kognitiven Leistungsfähigkeit, die sich in der Speicherung und Verarbeitung von Informationen niederschlägt. Mit zunehmender Dauer einer Demenz verschlechtern sich kognitive Leistungen massiv, treten deutliche Veränderungen im Gefühlsleben, im Sozialverhalten und im Antrieb einer Person ein. Etwa 50–60 % der Demenzen lassen sich dem Alzheimer Typ zuordnen, 20 % sind vaskulär (gefäßbedingt), etwa 10 % setzen sich aus einer Kombination beider Formen zusammen und ein Rest kommt in Verbindungen mit anderen Krankheiten vor (z. B. Morbus Parkinson)[17].

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Bild: copyright Hardy Holte

Als vor hundert Jahren der Psychiater Alois Alzheimer auf der 37. Versammlung Süddeutscher Irrenärzte in Tübingen über eine „eigenartige Erkrankung der Hirnrinde“ berichtete, stieß er auf ausgeprägtes Desinteresse unter den Kollegen. Vielleicht hatte es damit zu tun, dass damals die Lebenserwartung noch erheblich niedriger lag als heute und das seinerzeit neue Krankheitsbild nicht die Bedeutung besaß, wie dies heute der Fall ist.

In Deutschland leiden mehr als eine Millionen Menschen unter einer Demenz; zwei Drittel von ihnen an der Alzheimerkrankheit. Die mittlere Auftretenshäufigkeit beträgt für die 65- bis 69-Jährigen 1,2 %, für die 70- bis 74-Jährigen 2,8 %, für die 75- bis 79-Jährigen 6 %, für die 80- bis 84-Jährigen 13,3 %, für die 85- bis 89- Jährigen 23,9 % und für Personen, die 90 Jahre und älter sind 34,6 %. Jährlich werden vermutlich mehr als 250.000 Neuerkrankungen hinzukommen. Und bis zum Jahr 2050 wird sich die Gesamtzahl der Personen mit einer mittelschweren oder schweren Demenz auf 2,3 Millionen erhöht haben. Nimmt man die leichteren Fälle hinzu, erhöht sich diese Zahl wahrscheinlich auf 5 Millionen [3, siehe auch 1 und 2].

Als Ursachen für diese Entwicklung werden vor allem der rasante Anstieg der Bevölkerungszahl und die längere Lebensdauer angesehen. Neben der demographischen Entwicklung zählen auch bestimmte Krankheiten (z. B. Folgen eines Schlaganfalls) oder bestimmte Ernährungsgewohnheiten zu den Ursachen einer Demenzerkrankung. Aber auch dauerhaftes Übergewicht kann laut den Ergebnissen einer schwedischen Studie das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, beträchtlich erhöhen [4].

Vor dem Hintergrund dieser Fakten und Zahlen gewinnt die Frage nach den Auswirkungen einer Demenz auf die Verkehrssicherheit der Betroffenen zunehmend an Bedeutung. Bei einer Beantwortung dieser Frage ist der Fokus auf drei Aspekte gerichtet: Welche Leistungseinbußen gehen mit einer Demenz einher, wie gehen die Betroffenen als Verkehrsteilnehmer damit um und wie ist das Unfallrisiko dieser Patientengruppe einzuschätzen?

Eine Demenzerkrankung beeinträchtigt insbesondere die Leistungen des Gedächtnisses und der Aufmerksamkeitssteuerung, die Verarbeitung visueller Informationen („visuo-spatial skills“), die Geschwindigkeit von Entscheidungsprozessen sowie die Angemessenheit bzw. Richtigkeit getroffener Entscheidungen. Viele demenzkranke Kraftfahrer überschätzen ihre Fahrkompetenz und führen eigene Unfälle oft nicht auf die krankheitsbedingten Leistungseinbußen zurück [5]. Wenn überhaupt, nehmen Demenzkranke ihre nachlassende Fahreignung nur in einem sehr begrenzten Umfang wahr [6]. Wie aus einer kanadischen Studie hervorgeht, fuhr etwa ein Drittel der untersuchten Patienten mit einer Demenz leichteren oder mittleren Grades noch selbst Auto. In einem Zeitraum von zwei Jahren hat lediglich etwa die Hälfte dieser Patienten (N = 97) das Autofahren aufgegeben. Etwa vier Prozent von ihnen gaben als Grund dafür einen Autounfall an [7]. Leider wird in dieser Studie nicht erwähnt, wie viele Unfälle sich insgesamt im Untersuchungszeitraum von drei Jahren in der Patientenstichprobe ereignet haben. Da überdies keine Kontrollgruppe zur Verfügung stand, war eine Abschätzung des Unfallrisikos bei dieser Untersuchung nicht möglich.

Dass viele Demenz-Patienten auch nach der Diagnose ihrer Krankheit nicht auf das Autofahren verzichten, belegt u. a. eine Studie aus den USA. Annähernd die Hälfte der von den Forschern befragten Demenz-Patienten saß noch zwei bis drei Jahre nach der Diagnose regelmäßig am Steuer ihres Autos [8].

Die für das Autofahren wichtige Fähigkeit, die Aufmerksamkeit auf verschiedene Dinge gleichzeitig zu richten, ist im Verlauf der Erkrankung in zunehmendem Maße eingeschränkt [14]. Von einem relativ raschen Leistungsabbau betroffen sind auch die Geschwindigkeit und die Qualität, mit der visuelle Informationen verarbeitet werden („visual perception and visuo-spatial skills“). Dabei geht es zum Beispiel um das richtige Einschätzen von Entfernungen und Abständen und um die Interpretation einer Verkehrssituation.

Offensichtlich können visuell-räumliche Tests, wie eine Studie gezeigt hat, die Fahrkompetenz von Demenz-Patienten am besten vorhersagen [13]. Insgesamt liefern neuropsychologische Verfahren zwar deutliche Hinweise auf bestehende verkehrssicherheitsrelevante Leistungseinbußen, die Korrelationen mit dem tatsächlichen Fahrverhalten (z. B. bei Fahrproben) fallen jedoch nicht sehr hoch aus. Experten fordern deshalb den Einsatz von Testfahrten („on-road“- Tests), bei denen der Schwierigkeitsgrad höher ist [8].

Aufgrund der meist gravierenden Leistungseinbußen, die mit einer Demenz einhergehen, besteht unter den Experten Konsens darüber, dass im Verlauf einer solchen Krankheit die Fähigkeit, ein Fahrzeug sicher zu führen, nicht mehr gegeben ist. Strittig ist jedoch der genaue Zeitpunkt, wann im Krankheitsverlauf der Verlust der Fahreignung eintritt [9]. Während sich für frühe Stadien einer Demenz generell keine gesicherten eindeutigen Erkenntnisse über Beeinträchtigung der Fahreignung anführen lassen, gilt für Demenzen mittleren bis schweren Grades die fehlende Fahreignung als unstrittig. Die Diagnose einer Demenz in frühen Stadien sei allein kein Grund, einem Verkehrsteilnehmer die Fahreignung abzusprechen, hebt die Forschergruppe Geriatrie vom Evangelischen Geriatriezentrum Berlin, Charité, hervor. Es hinge vom spezifischen Störungsbild der Krankheit sowie in erheblichem Maße von den Kompensationsstrategien und dem Ressourceneinsatz der betroffenen Patienten ab, wann der Zeitpunkt eintritt, ab dem ein sicheres Autofahren nicht mehr gewährleistet ist [5]. Dies geschieht individuell ganz unterschiedlich. Internationale Studien liefern deutliche Hinweise darauf, dass Autofahrer auch zwei Jahre nach einer Demenzdiagnose und teilweise sogar länger befähigt sind, ein Auto zu fahren [6]. Außerdem zeigt eine weitere Studie, dass an leichter Demenz Erkrankte häufiger komplexe Verkehrssituationen meiden und genauso sicher fahren wie eine Kontrollgruppe der nicht an Demenz Erkrankten [16]. Dagegen weist Janet Duchek, Psychologieprofessorin von der Washington University School of Medicine in St. Louis, auf die Ergebnisse ihrer Langzeitstudie hin, wonach Patienten mit leichter Demenz in Fahrproben deutlich schlechter abschneiden als gesunde Personen und als Personen mit fraglicher Demenz (CDR=0,5) [11].

Bislang beruhte das Wissen über den Zusammenhang zwischen Fahreignung und Demenz weitgehend auf internationalen Studien. Nun liegt zu diesem Thema aktuell ein Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) vor, der die Ergebnisse eines Forschungsprojektes zu Fragen der Verkehrssicherheit von Personen mit einer leichten Demenzerkrankung beinhaltet [15]. Neben der Aufarbeitung des aktuellen Kenntnisstandes wurde außerdem eine umfanreiche Studie durchgeführt, bei der der Einfluss einer leichten Demenzerkrankung auf das Fahrverhalten im Realverkehr untersucht wurde. Dieses Projekt wurde im Aufrtag der BASt von Forschern des Universitätsklinikums Aachen (Klinik für Neurologie, Lehr- und Forschungsgebiet Neuropsychologie) und des Instituts für Arbeitsphysiologie an der Universität Dortmund (IfADo) durchgeführt.

Grundlage der Studie bildete eine umfangreiche neuropsychologische Diagnostik mit dem Fokus auf visuell-räumlicher und fokussierter Aufmerksamkeit, auf das allgemeine Aktivierungsniveau sowie auf die Verarbeitung komplexer visueller Reizsituationen. Mit den im Institut getesteten Probanden wurde außerdem eine freiwillige Fahrverhaltens-beobachtung im Realverkehr durchgeführt, die circa 50 Minuten dauerte und sich über eine Entfernung von 25 Kilometer erstreckte. Auf dieser Strecke wurden sowohl einfache als auch komplexe Verkehrssituationen durchfahren. Die Gruppe der Probanden setzte sich zusammen aus 46 älteren Patienten mit nachgewiesener "Leichter Kognitiver Beeinträchtigung" (MCI-Patienten), aus der sich möglicherweise eine Demenz entwickeln kann, und sieben Personen, die sich in einem Frühstadium der Alzheimer-Erkrankung befanden. Die Kontrollgruppe bildete eine Gruppe von elf älteren, gesunden Personen.

Die Fahrverhaltensbeobachtung konnte nur geringfügige Unterschiede zwischen der Patienten- und Kontrollgruppe im Hinblick auf die Fahrkompetenz aufzeigen. Für Patienten im frühen Demenzstadium konnten keine nennenswerten verkehrssicherheitsrelevanten Leistungseinbußen nachgewiesen werden. Insgesamt erwiesen sich die in der klinischen Demenzdiagnostik eingesetzten Testverfahren als nicht geeignet, zuverlässige Vorhersagen zur Fahreignung eines Patienten zu treffen. Ein schlechtes Abschneiden in einem neuropsychologischen Test ging nicht zwangsläufig mit einem schlechten Abschneiden in der Fahrverhaltensbeobachtung einher.

Das Autorenteam des Berichts mit Bruno Fimm, Andrea Blankenheim und Sebastian Poschadel empfielt daher die Durchführung einer Fahrverhaltensbeobachtung zur Beurteilung der Fahrkompetenz. Außerdem sehen sie bei Autofahrern und -fahrerinnen mit einer leichten Demenz ein erhebliches Leistungspotenzial und effiziente Anpassungs- bzw. Kompensationsmechanismen gegeben. Diese ließen sich durch gezielte Beratung und Trainings sogar noch verbessern. Darüber hinaus wird die gezielte Neuentwicklung von Testverfahren der klinischen Diagnostik zur Beurteilung der Fahrkompetenz angeregt.


Referenzen

[1] Ferri, C.P. et al. (2005). Global prevalence of dementia: a Delphi consensus study. Lancet, 366, 2112–7.

[2] Wancata, J., Musalek, M., Alexandrowicz, M. & Krautgartner, M. (2003). Number of dementia suffers in Europe between the years 2000 and 2050. European Psychiatry, 18, 306–313.

[3] Bickel, H. (2000). Demenzsyndrom und Alzheimer Krankheit: Eine Schätzung des Krankenbestandes und der jährlichen Neuerkrankungen in Deutschland. Das Gesundheitswesen, 62, 211–218.

[4] Gustafson, D. et al. (2004). A 24-year follow-up of body mass index and cerebral atrophy. Neurology, 63, 1876–1881.

[5] Mix, S., Lämmler, G. & Steinhagen-Thiessen, E. (2004). Fahreignung bei Demenz: Eine Herausforderung für neuropsychologische Diagnostik und Beratung. Zeitschrift für Gerontopsychologie & -psychiatrie, 17, 97–108.

[6] Lloyd, S., Cormack, C.N., Blais, K., Messeri, G., McCallum, M.A., Spicer, K. & Morgan, S. (2001). Driving and dementia: A review of the literature. Canadian Journal of Occupational Therapy, 68, 149–156.

[7] Herrmann, N., Rapoport, M.J., Samrook, R.H., McCracken, P. & Robillard, A. (2006). Predictors of driving cessation in mild-to-moderate dementia. CMAJ, September 12, 175 (6), Online-Artikel doi:10.1503/cmaj.051707.

[8] Adler, G. & Kuskowski, M. (2003). Driving habits and cessation in older men with dementia. Alzheimer Disease and Associated Disorders, 17, 68–71.

[9] Adler, G., Rottunda, S. & Dysken, M. (2005). The older driver with dementia: An updated literature review. Journal of Safety Research, 36, 399–407.

[10] Unterschiedliche Ausprägungsgrade einer Demenz erfasst auch die Global Deterioration Scale (GDS) von Reisberg et al. (1992).

[11] Duchek, J.M., Carr, D.B., Hunt, L., Roe, C.M., Xiong, C., Shah, K. & Morris, J.C. (2003). Longitudinal driving performance in early stage dementia of the Alzheimer Type. Journal of the American Geriatrics Society, 51, 1342–1347.

[12] Rösler, M. (2007). Die verkehrsmedizinische Fahreignungsbeurteilung bei psychischen Erkrankungen und psychopharmakologischer Behandlung. In B. Madea, F. Mußhoff & G. Berghaus (Hrsg.). Verkehrsmedizin. Fahreignung, Fahrsicherheit, Unfallrekonstruktion (S. 394–434). Köln: Deutscher Ärzte-Verlag.

[13] Reger, M.A., Welsh, R.K., Watson, G.S., Cholerton, B., Baker, L.D. & Craft, S. (2004). The relationship between neuropsychological functioning and driving ability in dementia: A meta-analysis. Neuropsychology, 18, 85–93.

[14] Calabrese, P. & Fischer-Altevogt, L. (2005). Neuropsychologie der Alzheimer-Demenz. In M. Bergener, H. Hampel, H.-J. Möller & M. Zaudig (Hrsg.). Gerontopsychiatrie. Grundlagen, Klinik und Praxis (S. 248–272). Stuttgart: Wissenschaftliche Verlags-gesellschaft.

[15] Fimm, B., Blankenheim, A. & Poschadel, S. (2015). Demenz und Verkehrssicherheit. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Mensch und Sicherheit, Heft M 255. Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH.

[16] O'Connor, M.L., Edwards, J.D. & Bannon, Y. (2013). Self-rated driving habits among older adults with clinically-defined mild cognitive impairment, clinically-defined dementia, and normal cognition. Accident Analysis and Prevention, 61, 197-202.

[17] Münte, T. F. (2009). Neuropsychologische Defizite bei Demenzerkrankungen. In W. Sturm, M. Herrmann & T. F. Münte, (Eds.) Lehrbuch der Klinischen Neuropsychologie (pp. 726–739). Heidelberg: Spektrum Akademischer Verlag.