Was ältere Fußgänger beklagen

Als Fußgänger wird man häufig mit unangenehmen oder unerwünschten Gegebenheiten konfrontiert. In der SENIORWALK-Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen wurden ältere Menschen nach ihren persönlichen Erfahrungen als Fußgänger in ihrer gewohnten Umgebung gefragt [1]. Wie die Ergebnisse dieser Studie zeigen, berichten Frauen häufiger negative Erfahrungen als Männer. Verschiedene Altersgruppen und verschiedene Lebensstile unterscheiden sich in ihren Erfahrungen als Fußgänger dagegen nicht. Öffentliche Toiletten werden von vielen Befragten vermisst.

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Datengrundlage war eine Repräsentativbefragung von insgesamt 2.099 Personen im Alter ab 55 Jahren. Die Durchführung erfolgte in der Zeit zwischen Mai und Juli 2019, also noch vor Beginn der Coronapandemie. Die persönlichen Erfahrungen der älteren Fußgänger wurden mit Hilfe von 45 Aussagen erfasst, die von den Befragten dahingehend beantwortet werden sollten, ob diese Erfahrungen nie, selten, gelegentlich, oft, oder sehr oft/immer im vergangenen Jahr vorgekommen sind. Einige dieser Aussagen beinhalten eine Bewertung, wie zum Beispiel „zu niedrige Bordsteinkanten“. Andere Aussagen haben eher neutralen, beschreibenden bzw. feststellenden Charakter, wie zum Beispiel „Nichtvorhandensein einer Verkehrsinsel“. Es zeigte sich, dass die aufsummierten Antworten zu den 45 Einzelaussagen eine zuverlässige Skala bildeten (Cronbachs Alpha=.94), durch die der persönliche Erfahrungshintergrund einer Person als Fußgänger bzw. Fußgängerin mit einem einzigen Summenwert angegeben werden konnte. Die Höhe dieses Gesamtwertes steht in keinem Zusammenhang mit dem Alter und dem Lebensstil der Befragten. Ein schwacher Zusammenhang besteht zwischen den Fußgängererfahrungen und den berichteten gesundheitlichen Beschwerden [2]. Je größer die gesundheitlichen Beschwerden, umso häufiger werden eher unangenehme Erfahrungen als Fußgänger berichtet.

Der Erfahrungshintergrund der Fußgänger wurde im Kontext eines komplexen Verhaltensmodels als Einflussvariable auf die Häufigkeit des Zufußgehens geprüft. Neben den persönlichen Erfahrungen waren auch verschiedene Einstellungen berücksichtigt worden, wie zum Beispiel die „Begeisterung für das Zufußgehen“. In einer ersten Modellanalyse hat sich die Relevanz der Fußgängererfahrungen als erklärendes Merkmal nicht bestätigen können und wurde deshalb aus weiteren Analysen ausgeschlossen.

Die häufigsten Erfahrungen

Zu den persönlichen Fußgängererfahrungen, die am meisten mit „oft“ oder „sehr oft/immer“ angegeben wurden, gehören Erfahrungen mit dem Auto bzw. dem Autoverkehr. So nennen zum Beispiel 45,5 % der befragten Senioren und Seniorinnen „Autos, die nach meinem Empfinden zu schnell fahren“ und 35,7 % „zu viel Autoverkehr“. Die nachfolgend aufgeführten prozentualen Anteile beziehen sich immer auf die beiden zusammengefassten Antwortkategorien „oft“ und „sehr oft/immer“. Keine der mindestens oft vorkommenden Fußgängererfahrungen wird von der Mehrheit der Befragten geteilt. Die prozentualen Angaben bleiben unter 50 %. Wie auch in anderen Studien, so wird bemängelt, dass es zu wenige öffentliche Toiletten gibt (38,2 %) und fehlende Möglichkeiten, sich unterwegs auszuruhen, z. B. auf Sitzbänken (23,1 %) [3]. In der Liste der häufigsten Erfahrungen ist unter anderem auch der Zustand der Gehwege, rücksichtslose Radfahrer auf dem Gehweg, parkende Autos auf Gehwegen, abgestellte Fahrräder auf Gehwegen und zu kurze Grünphasen an Ampeln aufgeführt.

45,5 %    nicht Vorhandensein einer Verkehrsinsel,

40,5 %    Autos, die nach meinem Empfinden zu schnell fahren,

38,9 %    nicht ins Gespräch mit anderen Fußgängern kommen,

38,2 %    zu wenige öffentliche Toiletten,

35,7 %    zu viel Autoverkehr,

32,2 %    zu viele Abgase,

26,9 %    keine freundlichen Autofahrer, die mich eine Straße überqueren lassen,

25,6 %    Unebenheiten oder Löcher auf den Gehwegen,

23,7 %    unachtsame Fußgänger (z.B. Smartphone-Nutzer),

23,1 %    Verschmutzung auf dem Gehweg,

23,1 %    fehlende Möglichkeit, sich unterwegs auszuruhen (z. B. Sitzbänke),

22,9 %    zu viel Lärm unterwegs,

22,7 %    rücksichtslose Radfahrer auf dem Gehweg,

19,6 %    parkende Autos auf Gehwegen.

18,0 %    nicht weggeräumter Schnee oder Glatteis auf Gehwegen,

16,8 %    zu kurze Grünphasen an Ampeln,

16,7 %    Sichtbehinderungen durch parkende Autos beim Überqueren einer Straße,

12,8 %    kein gut geregelter Straßenverkehr,

12,6 %    schwieriges Überqueren einer stark befahrenen Kreuzung,

12,5 %    zu lange Wartezeiten an Ampeln (Rotphasen),

12,3 %    abgestellte Fahrräder auf Gehwegen,

11,6 %    fehlende Zebrastreifen oder Ampeln beim Überqueren einer Straße.

Die weniger häufigen Erfahrungen

Zu den persönlichen Fußgängererfahrungen, die am wenigsten „oft“ oder „sehr oft/immer“ vorgekommen sind, gehören auch solche Aspekte oder Ereignisse, die objektiv auch eher weniger oft auftreten, wie zum Beispiel „Überqueren von Straßen mit Straßenbahngleisen“ oder „Skateboarder auf dem Gehweg“.  Immerhin etwa jeder zehnte beklagt sich über zu hohe Bordsteinkanten und zu schmale Gehwege.

 2,2 %     zu niedrige Bordsteinkannten,

 3,5 %     das Auftreten von Angst vor Belästigungen,

 3,5 %     schwieriges Überqueren von Straßen mit Straßenbahngleisen,

 4,5 %     das Auftreten von Angst vor Überfällen,

 3,7 %     schlechte Zugänge zu Haltestellen,

 4,3 %     Skateboarder auf dem Gehweg,

 4,6 %     unklare Verkehrsregelung vor Ort,

 4,8 %     nicht oder nicht hinreichend gesicherte Baustellen,

 5,2 %     fehlende Beschilderung zur Orientierung,

 5,3 %     schlecht markierte Wege,

 5,4 %     zu steiler Anstieg auf meinem Weg,

 5,4 %     Fahrräder mit Elektromotor auf dem Gehweg,

 5,4 %     ein zu langer Weg zum Überqueren einer Straße,

 6,0 %     Umwege gehen wegen fehlender Möglichkeit, sicher eine Straße zu überqueren,

 6,6 %     Straßenschilder nicht gut erkennbar,

 6,6 %     wenig attraktive Umgebung,

 7,8 %     Hindernisse auf Gehwegen (z. B. Stein, Laterne, Baustelle).

 8,0 %    unterwegs an Stellen vorbeikommen, an denen ich die Unfallgefahr für Fußgänger für hoch halte,

 8,5 %     Sichtbehinderung durch Bepflanzung (z. B. Sträucher),

 8,7 %     eine Straßenbeleuchtung fehlt oder ist nicht hell genug,

10,1 %    zu hohe Bordsteinkanten,

10,8 %    zu schmale Gehwege und

10,4 %    in Gedanken versunken sein.

   

Resümee

In der vorliegenden SENIORWALK-Studie wird insbesondere der zu starke Autoverkehr und die zu hohen Geschwindigkeiten der Autofahrenden als häufig vorkommend herausgestellt. Letzteres hat sich in der Europäischen SIZE-Studie [4] als ein häufig wahrgenommenes Ärgernis für Seniorinnen und Senioren gezeigt. Wie in einer Studie der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) [3] wird auch in der SENIORWALK-Studie von den befragten Seniorinnen und Senioren das Fehlen von Toiletten unterwegs, unebene Gehwege, parkende Autos auf Gehwegen und rücksichtslose Radfahrer auf Gehwegen als häufig vorkommend genannt. Scheinbar wurden in den vergangenen zehn Jahren für diese Ärgernisse noch keine hinreichenden Lösungen gefunden.

Die Ergebnisse der Studie zeigen überraschend, dass die persönlichen Erfahrungen von Fußgängern und Fußgängerinnen sich nicht auf die Häufigkeit des Zufußgehens auswirken. Die negativen Erfahrungen beim „normalen“ Zufußgehen scheinen kein Grund zu sein, weniger zu Fuß zu gehen. Möglicherweise werden die unangenehmen und nachteiligen Aspekte des Zufußgehens in Kauf genommen, weil aus Sicht der Befragten doch nichts verändert werden kann oder weil es für das Zufußgehen keine gleichwertige oder bessere Alternative gibt. Möglicherweise fallen die negativen Aspekte des Zufußgehens bei der persönlichen Mobilitätsentscheidung (Verkehrsmittelwahl) weniger ins Gewicht als die Nachteile, die in Verbindung mit anderen Verkehrsmitteln (z.B. mit dem Auto fahren) wahrgenommen werden. Die Wahl des persönlichen Verkehrsmittels ist eingebunden in einen komplexen Entscheidungsprozess, in dem die persönlich wahrgenommenen Vor- und Nachteile der verschiedenen Mobilitätsarten berücksichtigt werden.

Wie oben erwähnt, sind bestimmte Fußgängerfahrungen weder mit dem Alter noch mit einem bestimmten Lebensstil der befragten Personen verknüpft. Möglicherweise hängt dies damit zusammen, dass für die Feststellung der Erfahrungen lediglich die Angabe der Häufigkeiten der verschiedenen Aspekte verwendet wurde. Es wurde nicht explizit gefragt, wie sehr bestimmte Aspekte als störend empfunden werden oder wiesehr diese für die eigene Mobilitätsentscheidung relevant sind, sondern lediglich wie häufig man ihnen begegnet. Eine alternative Art, die Erfahrungen von Fußgängern zu erfassen, könnte durchaus Unterschiede zwischen Alters- oder Lebensstilgruppen aufdecken.


Literatur

[1] Holte, H. (2021). Ältere Fußgänger - Voraussetzungen einer problemfreien und sicheren Verkehrsteilnahme aus psychologischer Sicht. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft M 314. Bremen: Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH.

[2] Die Korrelation beträgt .24.

[3] Kaiser, C. & Klein, C. (2012). Abschlussbericht der Befragung „Alternsfreundliche Stadt“. Ein Projekt der BAGSO – Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen e.V..

[4] Risser, R., Haindl, G. & Stahl, A. (2010). Barriers to senior citizens’ outdoor mobility in Europe. European Journal for Ageing, 7(2), 69–80.