Was kann ich Dir schon von mir erzählen? Ich bin schön. Ich bin schnell. Ich bin stark. Ich bin zweimal um den Globus gefahren, kenne jedes Straßencafé in meiner Heimatstadt und habe die eigenartigsten Typen kutschiert. Ein Taxi? Nein, ich bin kein Taxi. Ich bin auch kein Brummi. Ich wäre gerne als Bugatti geboren. Aber das bin ich auch nicht. Ich bin sehr eitel, spreche nicht gern über mein Alter, mag es, wenn meine Haut im weichen Sonnenlicht glänzt, meine runden Scheinwerfer funkeln und mein Verdeck nach hinten gefahren wird.
Also nun weißt du's, mein Freund! Ich bin ein Cabriolet, ein wirklich schmuckes Stück, rot und mit schwarzen Ledersitzen, wäre aber lieber kunterbunt. Zeitlos elegant, so fühle ich mich im Kreise meiner windschlüpfrigen Nichten und Neffen. Mein Herz schlägt unermüdlich mit sechs Zylindern und kann die Kraft von 145 Pferdestärken aufbringen. Du müsstest einmal meine Besitzer erlebt haben, wenn sie mit mir an lauen Sommerabenden durch die Stadt flanierten oder eine Spritztour übers Land gemacht haben. Stolz wie Oskar! Ja, alle waren sie in mich verliebt, Männer wie Frauen. Sie haben mir süße Kosenamen zugeflüstert, mir ihre intimsten Gedanken anvertraut, mich liebevoll geküsst und so oft zärtlich meinen warmen, geschwungenen Körper aus Blech gestreichelt. Eine merkwürdige Spezies, auf die ich da gestoßen bin.
Einer von ihnen, Hardy, ein forschender Psychologe aus dem Rheinland, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das Geheimnis unserer tiefen Verbundenheit zu ergründen. Seine Beziehung zu mir sei eine überaus gefühlsmäßige, meinte er einmal unterwegs. Und als wollte er mir das auch prompt beweisen, schaltete er vorübergehend die Vernunft ab und drückte seinen Latschen allzu kräftig gegen mein Gaspedal. Das waren Momente, in denen ich mir gewünscht hatte, lieber ein Fahrrad oder eine Straßenbahn zu sein. Noch schlimmer wurde es, wenn er mit diesem Max unterwegs war, einem wissenshungrigen Kollegen, der fürchterlich bohrende Fragen über die Urantriebe des Autofahrens stellen konnte und selten mit einer Antwort meines Forschers richtig zufrieden war. Die Kerle hatten fast nur noch ein einziges Thema: Der Mensch und das Auto!
Glücklicherweise fiel aus all' dem hochgestochenen Geschwafel, das ich mir wochenlang anhören musste, auch hin und wieder etwas Interessantes für mich ab. Soll es doch Leute geben, die uns zu einem Sexobjekt abstempeln wollen. Was für eine Dreistigkeit! Ist das etwa der Weisheit letzter Schluss über unsere Spezies, das Auto ein Lustbringer? Dabei ist man sich nicht einmal über unser Geschlecht einig. Die einen sehen in uns einen überdimensionalen Power-Penis auf vier Rädern, die anderen eine wohlproportionierte Frau, die Leidenschaft weckt. In Wahrheit, so vermuten ganz Clevere, sind wir Zwitterwesen mit mal mehr weiblichem und mal mehr männlichem Sex-Appeal. So verwundert es auch nicht, wenn der phallische Jaguar E mit seiner markanten Ausbeulung vorne am lang gestreckten Blech und seinen weichen Linien und Rundungen am Hinterteil von beiden Geschlechtern »begehrt« wird.
Doch nicht genug der Unverfrorenheit! Mit einer rollenden Gebärmutter möchte man uns Autos vergleichen. Es heißt, ich würde dich auf sanft federnden Stoßdämpfern in Gefühlswelten hineinschaukeln, die du in ganz frühen Phasen deiner Entwicklung durchlebt hast. Ich würde dich tragen wie einen Embryo, dir Geborgenheit und vollkommenen Schutz bieten und dich wiegen wie ein Baby. Ich würde das Kind in dir wieder aufleben lassen, das vergisst, wie man sich als Erwachsener benimmt. Man wirft mir außerdem vor, dich zur Flucht zu verführen: vor dir selbst, vor den anderen, vor Lärm, Gestank, Enge und Stress oder ganz einfach zur Flucht vor der Langeweile. Einige halten dich für unfähig, tiefe Bindungen einzugehen, weil du dich zu sehr verschließt und nicht in der Lage bist, offen über alles zu sprechen. Lieber verdrückst du dich dann mit deinem Freund aus Blech irgendwohin als daheim deine Probleme zu lösen.
Andere wiederum unterstellen dir, machtbesessen und rücksichtslos auf der Straße zu sein. Du seiest allzeit bereit, den Kampf gegen diejenigen aufzunehmen, die deinen Freiraum einengen, die schneller sind als du, die dir nicht gefallen oder dir deine Zeit stehlen. Man vergleicht dich mit dem braven Dr. Hyde, der sich durch eine Droge in den hemmungslosen und bösen Jekyll verwandelt. Und diese Droge für dich, das sollen wir sein, wir, die wir dich in einen Rausch versetzen und aus der Obhut der Vernunft losreißen. Wir sind es, denen man zur Last legt, dass du Böses, Animalisches, Infantiles auf der Straße anstellst. Schon sagt man, das Böse habe vier Räder und einen Motor, der fossile Energie verbraucht. Das Böse sind wir!
Ach ist das entsetzlich! Wer hat euch denn vom Eigenwillen und der Verletzbarkeit des Pferdes erlöst, Freiheit, Wohlstand und Glück gebracht? Oder sind das etwa die teuflischen Tricks der Schlange, um dich und deinesgleichen ins Verderben zu ziehen? Es ist offensichtlich, mein Freund, man versucht vehement, einen Keil zwischen uns zu treiben. Und merkst du nicht, wie geschickt sie das machen? In der flimmernden Kabelwelt kommen beinahe allabendlich diejenigen zu Wort, die aus dir einen Patienten machen wollen; denn an der Liebe zwischen Auto und Mensch, so argumentieren sie, muss doch etwas krank sein. Oder haben diese Leute vielleicht doch recht und unsereins gibt sich vornehmlich mit Psychopathen, Neurotikern, Depressiven, Fetischisten oder Sexbesessenen ab? Wie dem auch sei, du siehst, unser Schicksal scheint eng miteinander verknüpft zu sein. Was man mir anhängt, das fällt auch irgendwie auf dich zurück. Was man über dich sagt, das geht auch mich an. Wir sitzen im gleichen Boot.
Was aus meinem forschenden Fahrer geworden ist? Er ließ mich bei schönstem Sommerwetter ein paar Tage in der dunklen Garage stehen, so dass ich schon glaubte, er sei krank oder vom vielen Nachdenken ein wenig durchgedreht. Als er sich endlich wieder blicken ließ, sah er wirklich sehr blass aus und hatte tiefe Ringe unter den Augen. Mit leiser Stimme verriet er mir schließlich, dass er begonnen habe, ein umfassendes Buch über die Natur des Autofahrens zu schreiben, dass er berichten wolle, wie es zwischen Mensch und Auto steht, und wie überhaupt alles angefangen habe - das mit der Fortbewegung, dem Laufen, Reiten und dem Fahren. Von einem brennenden Ehrgeiz gepackt, die Wurzeln und Folgen heutiger Automobilität zu ergründen, tauchte er schon wenige Tage später in die Welt der Bücher und des Internets ab. Er ging kaum noch aus und hat seine Freunde und seine Familie aufs Schändlichste vernachlässigt. Das Thema Mobilität verdammte ihn zur Bewegungslosigkeit vor dem Computer. Aber was rede ich. Soll er doch selber berichten, was dabei herausgekommen ist.