Man nehme einen Verkehrssicherheitsfilm, zeige ihn einer Zielgruppe und hoffe darauf, dass diese die Botschaft versteht und akzeptiert. Der präzise Nachweis einer gewünschten Verhaltensänderung ist meistens schwierig, ja fast unmöglich, da sich der mögliche Effekt eines solchen Films mit den Effekten anderer Verkehrssicherheitsmaßnahmen oder mit bestehenden Trends mischt. Nicht unumstritten sind Schockvideos, die Autofahrerer aufrütteln und betroffen machen sollen; denn bei der Umsetzung solcher Kampagnen kann man einiges falsch machen und der gewünschte Effekt auf die Verkehrssicherheit bleibt aus.
In den Anfängen der Massenkommunikationsforschung hielten viele den Wirkungsmechanismus von Massenkommunikation für relativ einfach. Man benötige nur einen geeigneten Stimulus (Reizmaterial). Dieser würde beim Publikum schon die gewünschte Reaktion hervorrufen. Es folgte eine Phase, in der Psychologen erkannten, dass die Wirkung eines Stimulus davon abhängt, wie der Mensch diesen verarbeitet, das heißt, was er dabei denkt und fühlt und welche Motive sein Handeln lenken. Diese Erkenntnis machte das Manipulieren durch Werbebotschaften nicht einfacher, denn man musste die möglichen geistigen und emotionalen Reaktionen des Menschen mit einkalkulieren. Trotz dieser Barrieren galt der Mensch in der Medienwelt noch immer als ein manipulierbares Wesen. Man musste nur wissen wie. Es entwickelte sich in der Folgezeit eine Forschungsrichtung, die sich völlig vom klassischen Wirkungskonzept löste und die den Medienkonsumenten aus einer entgegengesetzten Perspektive wahrnahm. Nach diesem „uses-and-gratifications-approach“ (Nutzenansatz) wählen Menschen aktiv und selektiv Medieninhalte nach ihren Bedürfnissen aus. Und diese Bedürfnisse erzeugen mehr oder weniger konkrete Erwartungen. Der Nutzenansatz grenzte sich von der weit verbreiteten Vorstellung ab, Rezipienten seien passive Konsumenten, die wie Medienmarionetten nach Belieben geführt werden können. Medien, so der konträre Standpunkt von Vertretern dieses Ansatzes, mussten die Bedürfnisse der Rezipienten – und damit ihre Erwartungen und Ziele – berücksichtigen, wollten sie einen Effekt erzielen [1] [2].
Trotz der Entwicklung alternativer theoretischer Vorstellungen über die Wirkung von Massenmedien scheint auch heute noch die kreative Arbeit von Experten aus der Medienwelt vielfach von einem einfachen Reiz-Reaktions-Modell geleitet zu sein. Vorurteile und fehlendes Wissen sind hierfür häufig die treibende Kraft. Ein Beispiel für eine fatale Verkennung menschlicher Reaktionsweisen liefert eine Veröffentlichung aus Neuseeland, in der dargestellt wird, welche unerwünschte Wirkung Verkehrssicherheitsfilme zum Thema Alkohol und Fahren auf junge Fahrer und Fahrerinnen haben können [3].
Obwohl die Autoren es explizit nicht so formuliert haben (möglicherweise wollten sie für den Artikel nicht so tief in die theoretische Analyse eintreten), bildet den theoretischen Hintergrund dieser Studie die Annahme, dass Menschen das Bedürfnis haben, die eigenen Fähigkeiten mit denen von anderen zu vergleichen. Im Grunde geht es sogar um das basalere Bedürfnis, die eigenen Fähigkeiten zu bewerten, was unter anderem durch den Vergleich mit anderen Personen geschieht. Der Sozialpsychologe Leon Festinger hat in den fünfziger Jahren hierzu die „Theorie der sozialen Vergleichsprozesse“ entwickelt. Aus diesen Vergleichen holen sich Medienkonsumenten häufig jene Bestätigung, die ihnen in der sozialen Realität abgesprochen wird, so zum Beispiel, wenn Personen mit aggressiven Verhaltenstendenzen eine Vorliebe für Gewaltvideos entwickeln [4]. Auch Vorurteile und Stereotype gegenüber anderen gehen in diesen Vergleichsprozess mit ein. Diese können sogar noch verfestigt werden, wenn die Protagonisten in einem Film dazu Anlass geben. Werden Vorurteile beim Zuschauer aktiviert, ist damit zu rechnen, dass die gewünschte Wirkung einer auf Erhöhung der Sicherheit ausgerichteten Botschaft ausbleibt [5].
Der Vergleich mit anderen geht meistens zugunsten des Egos aus [6]. Wie aus der sozialpsychologischen Forschung bekannt ist, werden für einen solchen Vergleich auch häufig mutmaßlich Schlechtere herangezogen. Ein für das Ego positives Vergleichsresultat stärkt das Selbstvertrauen. Deprimierte oder erfolglose Personen können sich sogar durch den Vergleich mit anderen, denen es noch schlechter geht, selbst wieder aufrichten. In einer Studie der beiden amerikanischen Psychologen Stanley Morse und Kenneth Gergen wurden Studenten bei der Bewerbung um eine Stelle mit einem Mitbewerber konfrontiert. Wenn der Konkurrent weniger qualifiziert war als sie selbst, reagierten die Studenten mit einer Erhöhung ihres Selbstwertes. Hingegen sank der Selbstwert, wenn der Mitbewerber überlegen schien [7].
Soviel zur Theorie und zu Ergebnissen aus der Sozialpsychologie. Ausgehend von der Frage, was Verkehrssicherheitsfilme, in denen folgenschwere Unfälle alkoholisierter Fahrer gezeigt werden, in puncto Sicherheit tatsächlich bei jungen Fahrern bewirken, wurde in der oben erwähnten neuseeländischen Studie ein Laborexperiment mit Untersuchungs- und Kontrollgruppe durchgeführt. Es nahmen insgesamt 314 Studenten und Studentinnen des Fachs Psychologie im Alter von 16 bis 29 Jahren teil. Die Untersuchungsgruppe schaute sich drei Filme an, in denen schreckliche Alkoholunfälle gezeigt wurden. In einem Fall kam es zu einem tödlichen Crash, als ein alkoholisierter, junger Mann bei einem Jagdspiel mit einem vorausfahrenden Auto von der Straße abkam, sich überschlug und der Wagen in Flammen aufging. Die Botschaft lautete: „Wenn du trinkst und fährst, bist du ein verdammter Idiot“ (If you drink then drive, you're a bloody idiot). Der Kontrollgruppe dagegen wurden drei Szenen gezeigt, in denen sich Autofahrer korrekt verhalten haben und nach dem Konsum von Alkohol auf das Autofahren verzichteten. Den Probanden wurde erzählt, sie nähmen an zwei verschiedenen Studien teil. In der ersten Studie müssten sie die oben erwähnten Filme betrachten und dazu einige Fragen beantworten. In der zweiten Studie würden sie dann zu ihrer eigenen Fahrweise befragt. Das war auch der Teil, in dem die Probanden sich mit Gleichaltrigen vergleichen sollten. Dabei ging es unter anderem um den Vergleich von Fähigkeiten, Reflexen, der Urteilsfähigkeit, der Risikobereitschaft und dem eingeschätzten Unfallrisikos.
Das zentrale Ergebnis der Studie lautet: Bei dem Vergleich der eigenen Fähigkeiten mit denen von Gleichaltrigen erlangten Personen aus der Untersuchungsgruppe höhere Werte als Personen aus der Kontrollgruppe. Der Film hatte augenscheinlich zu einer Verstärkung der Selbstwahrnehmung der eigenen Kompetenz geführt, so die Interpretation der Autoren. Ihrer Ansicht nach ist es möglich, dass die jungen Probanden den Kontrollverlust des im Film verunglückten Autofahrers als eine Demonstration unzureichender Fahrfähigkeiten beurteilten. Das könnte den Probanden das Gefühl oder die Überzeugung vermittelt haben, ein viel besserer Autofahrer als der Verunglückte zu sein. Die Folge daraus könnte eine Veränderung in der Selbstwahrnehmung sein, wie sie sicherlich nicht von den Machern der abschreckenden Verkehrssicherheitsfilme intendiert war. Wie stark jedoch dieser unerwünschte Effekt ist, haben die Autoren nicht angegeben.
Ob sich diese kognitive bzw. emotionale Reaktion der jungen Probanden tatsächlich auch in ihrem Fahrverhalten niederschlug, wurde nicht untersucht. Dennoch besteht der Verdacht, dass solche Filme am Ende sogar die Gefahr eines durch Alkoholkonsum verursachten Unfalls erhöhen statt sie zu verringern. Allein durch filmisch dargebotene Furchtappelle, dafür sprechen die Ergebnisse dieser Studie, ist eine Veränderung des Trink-Fahrverhaltens junger Leute nicht unbedingt zu erwarten. Kampagnen verlieren ihre Wirkung, wenn die Personen, für die sie entwickelt werden, sich nicht angesprochen fühlen, wenn sie der Meinung sind „Das betrifft mich nicht. Ich habe alles im Griff. Wer solche Unfälle baut, kann eben nicht Autofahren.“
Ein Grund, warum Menschen häufig mit Ablehnung oder Ignorieren auf für sie bedrohliche Botschaften reagieren, hängt mit dem Bedürfnis zusammen, das eigene Selbstwertgefühl zu schützen bzw. zu erhöhen [9]. Dies führt dazu, dass Personen gezielt nach positiven Informationen über sich selbst suchen, jedoch die Auseinandersetzung mit Botschaften, die eine Bedrohung des eigenen Selbstwertes bedeuten können, meiden. Eine solche Botschaft könnte zum Beispiel beinhalten, dass niemand der Alkohol getrunken hat, über die hinreichende Fahrkompetenz verfügt, sicher ein Auto zu lenken. Das Infragestellen der eigenen Fahrkompetenz kann für Autofahrer eine selbstwertbedrohliche Botschaft sein, die dazu führt vom Autofahrer abgelehnt oder ignoriert zu werden. Ein positives Selbstwertgefühl schützt nach der sogenannten Terror Management Theorie in der Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit [10]. Somit trägt ein positives Selbstwertgefühl als Schutzpuffer dazu bei, dass Angstgefühle unter Umständen erst gar nicht entstehen. Ausgehend von diesem theoretischen Ansatz wird Folgendes angenommen: Aufgund eines ausgeprägten Selbstwertgefühls, das sich aus der Vorliebe für einen risikoreichen Fahrstil speist, wird eine Abwehrreaktion auf Verkehrs-sicherheitsbotschaften begünstigt, wenn Kampagnen genau einen solchen Fahrstil zu ihrem Thema machen. Paradoxerweise, das haben auch einige Studien gezeigt, führt eine solche Furcht-Appell-Kampagne bei diesen Personen häufiger zu einem riskanten Fahrverhalten als bei Personen mit einem niedrigeren verkehrsbezogenen Selbstwertgefühl [11]. Erklärt wird dies durch folgende Überlegung: Eine Bedrohung des stark ausgeprägten Selbstwertgefühls führt letztlich dazu, dieses zu stärken. Im Fall des Autofahrers heißt dies, ein solches Verhalten zu zeigen, das für die Ausbildung seines Selbstwertgefühls besonders wichtig ist - schnell oder riskant Autofahren.
Fasst man die Studien zu den Wirkungen von Furcht-Appellen auf Einstellungen und Verhaltensweisen von Autofahrern zusammen, so entsteht ein sehr heterogenes Bild von den Ergebnissen internationaler Evaluationsstudien [12]. Um die Chance einer angestrebten Kampagnenwirkung zu erhöhen, ist es daher wichtig, dass genau festgelegt wird, was die Kampagne bewirken soll, auf welche Zielgruppe sie ausgerichtet ist und welche Botschaften zugrundegelegt werden. Verkehrssicherheitsbotschaften mit Schockeffekt sollten nicht nur auf das Problem aufmerksam machen, sondern konkrete Lösungsvorschläge für dieses Problem anbieten. Außerdem sollten sie auch Erklärungen beinhalten, warum die eigene Fahrtüchtigkeit möglicherweise eingeschränkt ist, und dass es Situatonen geben kann, in denen die Aufmerksamkeit zum Beispiel durch Alkoholkonsum erheblich beeinträchtigt ist. Je nachvollziehbarer die Entstehung eines schädigenden Ereignisses dargestellt wird und je stärker dabei auch der situative Kontext miteinbezogen wird, um so weniger wird die "Mich trifft es nicht"-Einstellung" die gewünschte Wirkung einer Schock-Kampagne behindern. Eines jedoch lässt sich nicht leugnen: Schock-Kampagnen erregen Aufmerksamkeit und schaffen damit auch die Grundlage, ein Verkehrssicherheitsthema in der breiten Öffentlichkeit zu diskutieren.
[1] Rosengren, K.E., Wenner, L.A. & Palmgreen, P. (Eds.) (1985). Media Gratifications Research. Berverly Hills.
[2] Zillman, D. & Bryant, J. (1985). Selective exposure to communication. Hillsdale: New Jersey.
[3] Harré, N., Foster, S. & O'Neill, M. (2005). Self-enhancement, crash-risk optimism and the impact of safety advertisements on young drivers. British Journal of Psychology, 96, 215–230.
[4] Festinger, L. (1954). A theory of social comparison processes. Human Relations, 7, 117–140.
[5] Hastings, G. & Kennie, F. (1999). The Use of Fear in Traffic Safety Communication: A Marketing Perspective. In: Konfrontierende Stilmittel in der Verkehrssicherheitsarbeit. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit, Heft M 107, S. 138-143. Bremerhaven: Wirtschaftsverlag NW.
[6] DeJoy, D.M. (1989). The optimism bias and traffic accident risk percep-tion. Accident Analysis and Prevention, 21(4), 333–340. Glendon, I., Dorn, L., Davies, D.R., Matthews, G. & Taylor, R.G. (1996). Age and gender differences in perceived accident likelihood and driver competences. Risk Analysis, 16(6), 755–762. Horswill, M.S., Waylen, A.E., & Tofield, M.I. (2004). Drivers' ratings of different components of their own driving skill: A greater illusion of superiority for skills that relate to accident involvement. Journal of Applied Social Psychology, 34(1), 177–195.
[7] Morse, S. & Gergen, K. J. (1970). Social comparison, self-consistency, and the concept of self. Journal of Personality and Social Psychology, 16, 148–156.
[8] Bächli-Biétry, J. & Siegrist, S. (2003). Dummies never die! Ergebnis- und Prozessevaluation einer Unfallverhütungskampagne der bfu 1999–2001 (bfu-Report 49). Bern: Schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung bfu.
[9] Stahlberg, D., Osnabrügge, G. & Frey, D. (1985). Die Theorie des Selbstwertschutzes und der Selbstwerterhöhung. In Frey, D. & Irle, M. (Hrsg.), Theorien der Sozialpsychologie. Bern: Huber
[10] Greenberg, J., Solomon, S., Pyszcynski, T., Rosenblatt, A., Burling, J., Lyon, D., Simon, L. & Pinel, E. (1991). Why do people need self-esteem? Converging evidence that self-esteem serves an anxiety-buffering function. In R. F. Baumeister (Ed.), The Self in Social Psychology (pp. 87-103). Philadelphia: Psychology Press.
[11] Carey, R.N. & Sarma, K.M. (2011). The impact of threat appeal messages on risky driving intentions: A Terror Management Theory perspective. Journal of the Australasian College of Road Safety, 22, 51-56.
[12] Holte, H. & Pfafferott, I. (2015). Wirkungsmechanismen und Erfolgsfaktoren von Verkehrssicherheitskampagnen. In C. Klimmt, M. Maurer, H. Holte und E. Baumann (Hrsg.), Verkehrssicherheitskommunikation. Beiträge der empirischen Forschung zur strategischen Unfallprävention (S. 99-116). Wiesbaden: Springer VS.