Die Psychologie des Motorradfahrens

Motorradfahrer haben das höchste Risiko, im Straßenverkehr zu verunglücken. Allerdings bestehen innerhalb der Gruppe der Biker deutliche Unterschiede im Gefährdungsgrad. Lebensstile, Einstellungen und Persönlichkeitsmerkmale haben einen entscheidenden Einfluss auf das Unfallrisiko dieser Gruppe.

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Im Rahmen einer Repräsentativbefragung von 1.039 Motorradfahrern und -fahrerinnen untersuchte die Bundesanstalt für Straßenwesen die Frage, welchen Einfluss psychologische Aspekte auf die Verkehrssicherheit dieser Zielgruppe haben [1]. Hierzu erfolgte zunächst eine Aufteilung der Gesamtgruppe der Befragten mit Hilfe von Clusteranalysen in unterschiedliche Teilgruppen. So konnte jede befragte Person sowohl einer Lebensstilgruppe als auch einer Gruppe mit einer bestimmten Konstellation von Persönlichkeitsmerkmalen zugeordnet werden.

Ergebnisse

Beim Vergleich verschiedener Altersgruppen zeigt sich der höchste Anteil an Unfallbeteiligten für die 18- bis 24-Jährigen (16,9 %). Für die Gesamtgruppe liegt dieser Anteil deutlich niedriger bei 9,6 %. Für ältere Motorradfahrerinnen und -fahrer ist dagegen keine erhöhte Unfallbeteiligung nachweisbar.

Es wurden vier Lebensstilgruppen identifiziert.

Gruppe 1 (30 %): Mitglieder dieser Gruppe lehnen ruhige Freizeitaktivitäten wie das Zusammensein in  der Familie, Spazierengehen oder Museumsbesuche ab. Sie basteln gerne am Auto oder Motorrad, besuchen gerne Rockkonzerte, Partys oder Diskotheken. Die filmischen Vorlieben liegen bei Action-, Science-Fiction- oder Horror-Filmen. Hard- oder Punk-Rock sind die bevorzugte Musikrichtung. In dieser Lebensstilgruppe befindet sich der größte Anteil unfallbeteiligter Motorradfahrer (15 % innerhalb der vergangenen drei Jahre). Personen dieser Gruppe sind am stärksten von ihren Fähigkeiten überzeugt, schwierige oder riskante Fahrsituationen mit dem Motorrad zu meistern. Außerdem haben sie mit Abstand die positivste Einstellung gegenüber aggressiven Verhaltensweisen im Straßenverkehr und die positivste Einstellung zum Motorradfahren.

Gruppe 2 (18 %): Zum Freizeitrepertoire dieser Gruppe gehören Spazierengehen, Zusammensein mit der Familie, DVDs ansehen und Computerspiele spielen. Als Medienkonsument bevorzugen sie Liebesfilme, Komödien, Soaps, Kultur- und Nachrichtensendungen, Quiz- und Spielshows und Sportsendungen. Popmusik wird von Mitgliedern dieser Gruppe am liebsten gehört.  Aber auch Schlager, Volks- und Country-Musik steht bei Vielen hoch im Kurs. Häufige Beachtung finden jedoch auch Jazz, Blues oder Funk. Der Anteil unfallbeteiligter Motorradfahrer oder –fahrerinnen  beträgt 7 %.

Gruppe 3 (36 %): Personen dieser Gruppe zeigen insgesamt wenige auffällige Freizeitinteressen und Vorlieben für bestimmte Filmgenres und Musikrichtungen. Eine ausgeprägte Affinität für bestimmte soziale Gruppen ist nicht auszumachen. Über dem Durchschnitt liegend sind lediglich die Zustimmungen für Popmusik, Schlager, Volksmusik oder Country-Musik. Der Anteil unfallbeteiligter Motorradfahrer oder –fahrerinnen  ist mit 6 % am niedrigsten von allen Lebensstilgruppen.

Gruppe 4 (17 %): Personen dieser Gruppe lesen gerne und besuchen gerne Ausstellungen. Sie bevorzugen Jazz, Blues, Soul, Funk oder Reggae sowie klassische Musik, Folk oder Liedermacher. Sie schauen sich gerne Nachrichten- und Kultursendungen an und zeigen eine  gewisse Affinität gegenüber Umweltschützern und Globalisierungskritikern. Der Anteil unfallbeteiligter Motorradfahrer oder –fahrerinnen beträgt knapp 9 %.

Es wurden fünf Persönlichkeitstypen identifiziert.

Typ 1 (13 %): Dieser ist gekennzeichnet durch eine geringe Ängstlichkeit und Reizbarkeit, durch eine altruistische Neigung (stärkere Beachtung der Interessen anderer Verkehrsteilnehmer) und ein großes Bedürfnis nach neuen, aufregenden Erlebnissen. Außerdem schätzt sich dieser Typ als typischen Motorradfahrer bzw. typische Motorradfahrerin ein. Der Anteil unfallbeteiligter Motorradfahrer oder –fahrerinnen beträgt knapp 9 %.

Typ 2 (20 %): Dieser schätzt sich ebenfalls als wenig ängstlich und reizbar ein. Auch der Altruismus ist in dieser Gruppe überdurchschnittlich ausgeprägt. Dagegen ist der Erlebnishunger weit unterdurchschnittlich ausgeprägt. Ebenso wie die Normlosigkeit, was bedeutet, dass sich dieser Typ eher an den bestehenden Normen und Regeln orientiert. Der Anteil unfallbeteiligter Motorradfahrer oder –fahrerinnen dieser Gruppe beträgt 7 %.

Typ 3 (16 %): Das Charakteristische dieses Typs ist eine ausgeprägte Reizbarkeit, ein gering ausgeprägter Altruismus, ein großer Erlebnishunger, eine stark ausgeprägte Neigung, sich wenig an die bestehenden Regeln zu halten und eine starke Identifikation mit der Gruppe der Motorradfahrer und –fahrerinnen. In dieser Gruppe befindet sich der mit Abstand höchste Anteil Unfallbeteiligter (23,2 %).

Typ 4 (22 %): Dieser Typ ist im Wesentlich durch eine überdurchschnittlich ausgeprägte Ängstlichkeit und Reizbarkeit gekennzeichnet. Der Anteil Unfallbeteiligter beträgt in dieser Gruppe knapp 8 %. Allerdings werden in dieser Gruppe die wenigsten Kilometer in einem Jahr gefahren.

Typ 5 (25 %): Die Ausprägungen der Werte der Persönlichkeitseigenschaften bewegen sich alle im Durchschnittsbereich. Die einzige Ausnahme gilt für die Normlosigkeit. Bei dieser liegen die Werte leicht oberhalb des Durchschnitts, was für die Tendenz spricht, sich eher nicht an die bestehenden Regeln zu halten. Der Anteil Unfallbeteiligter beträgt in dieser Gruppe lediglich knapp 4 % und ist damit am niedrigsten von allen anderen Persönlichkeitstypen.

Kombination aus Lebensstil und Persönlichkeits-Typ

Das höchste Unfallrisiko ergibt sich aus einer Kombination von Lebensstil (1-4) und Persönlichkeits-Typ (1-5). Mit einem Anteil von 27,5 % Unfallbeteiligter ist dieses Risiko bei Personen der Lebensstilgruppe 1 mit Abstand am höchsten, wenn diese zugleich dem Persönlichkeitstyp 3 entsprechen (siehe Bild unten), das heißt, wenn diese durch einen ausgeprägten Altruismus, einen großen Erlebnishunger, eine stark ausgeprägte Neigung, sich wenig an die bestehenden Regeln zu halten, und eine starke Identifikation mit der Gruppe der Motorradfahrer und –fahrerinnen gekennzeichnet sind.

Quelle: Von Below & Holte (2014)

Schlussfolgerung

Sowohl die Lebensstile als auch die Persönlichkeitsmerkmale (insbesondere auch die Kombination der beiden) sind geeignet, mehr oder weniger stark gefährdete Personengruppen zu identifizieren. Damit ist eine wissenschaftlich fundierte Grundlage gegeben, zielgerichtete Anspracheformen für besonders Gefährdete innerhalb der Hochrisikogruppe der Motorradfahrer und –fahrerinnen zu entwickeln und umzusetzen.


[1] Von Below, A. & Holte, H. (2014). Psychologische Aspekte des Unfallrisikos für Motorradfahrerinnen und -fahrer. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Mensch und Sicherheit, Heft M 247. Bremerhaven, Bergisch Gladbach: Wirtschaftsverlag NW.