Menschen unterscheiden sich in der Intensität ihres Bedürfnisses nach neuen Erlebnissen und Erfahrungen. Was für das Autofahren bereits nachgewiesen wurde, ist nun auch für Radfahrende belegt. Je stärker dieses Bedürfnis ausgeprägt ist, umso riskanter ist die Fahrweise und umso größer die Unfallgefahr.
Im Rahmen einer Repräsentativbefragung von 2.158 Radfahrern und –fahrerinnen untersuchte die Bundesanstalt für Straßenwesen die Frage, welchen Einfluss psychologische Merkmale auf die Verkehrssicherheit dieser Verkehrsteilnehmergruppe haben [1]. Neben unterschiedlichen verkehrssicherheitsrelevanten Erwartungen und Einstellungen wurden auch die Persönlichkeitsmerkmale Normlosigkeit, Altruismus, Reizbarkeit, Ängstlichkeit und Erlebnishunger erfasst. Die vier letztgenannten Merkmale entstammen dem NEO-PI-R, einem Persönlichkeitsinventar, das fünf Faktoren der Persönlichkeit erfasst, die ihrerseits wiederum in sechs Facetten unterteilt sind. Die vier o.g. Personenmerkmale sind solche Facetten, die zum Teil zu unterschiedlichen Faktoren gehören [2].
In einer Sonderauswertung wurde mit Hilfe einer Pfadanalyse der Einfluss dieser Personenmerkmale auf das riskante Fahrverhalten von Radfahrern untersucht (Grafik 1). Als riskantes Radfahren zählte u.a. "Fahren bei Rot über die Ampel, wenn kein Verkehr kommt", "Telefonieren beim Radfahren mit dem Handy", "Angetrunken mit dem Fahrrad fahren" oder "Fahre so schnell in eine Kurve und bremse, dass ich beinahe wegrutsche" [1]. Wie die Ergebnisse zeigen, neigen insbesondere Personen mit einem ausgeprägten Erlebnishunger dazu, riskant Rad zu fahren. Dieser Einfluss erfolgt sowohl direkt als auch indirekt über den Einfluss auf die Einstellung zur Geschwindigkeit und auf die Erwartung der Befragten, auch in schwierigen Verkehrssituationen sicher Rad fahren zu können (Handlungskompetenzerwartung). Der daraus resultierende Gesamteffekt (.41) für das Merkmal „Erlebnishunger“ ist höher als die Effekte der übrigen Personenmerkmale.
Insgesamt gehen 41 % der berichteten Unterschiede im riskanten Radfahrverhalten auf den Einfluss aller erfassten Personenmerkmale zurück. Der Erklärungsbeitrag speziell durch die Persönlichkeitseigenschaften Normlosigkeit, Altruismus, Reizbarkeit, Ängstlichkeit und Erlebnishunger liegt mit 21 % relativ hoch. Diese 21 % machen etwa die Hälfte der durch alle Personenmerkmale aufgeklärten Verhaltensunterschiede aus. Auf den Erlebnishunger alleine fallen 17 %. Dieser Erklärungsbeitrag ist höher als der der Einstellung zur Geschwindigkeit (8 %) und der der Handlungskompetenzerwartung (10 %).
Das heißt umgekehrt: 59 % der Unterschiede in der berichteten riskanten Fahrweise von Radfahrern kann durch das Modell (Grafik 1) nicht erklärt werden. Es bestehen somit weitere Einflüsse, die in der vorliegenden empirischen Studie nicht berücksichtigt wurden. Dazu zählen insbesondere situative Einflüsse, soziale Einflüsse sowie Einflüsse der Infrastruktur und der Verkehrsregelung.
Nicht nur Persönlichkeitsmerkmale sondern auch Einstellungen und Erwartungen weisen eine erhebliche Änderungsresistenz auf. Dies stellt für den Einsatz kommunikativer Maßnahmen zur Änderung des Verhaltens von Radfahrern mit starker Ausprägung dieser Merkmale eine besondere Herausforderung dar.
Literatur
[1] Below, A. von (2016). Verkehrssicherheit von Radfahrern – Analyse sicherheitsrelevanter Motive, Einstellungen und Verhaltensweisen. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft M 264. Bremen: Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH.
[2] Costa, P. T. jr. & McCrae, R. R. (1992): Revised NEO Personality Inventory (NEO-PI-R) and NEO Five Factor Inventory (NEO-FF-I). Professional Manual. Odessa: Psychological Assessment Resources Inc.
Ostendorf, F. & Angleitner, A. (2003): NEO-Persönlichkeitsinventar nach COSTA und McCRAE, Revidierte Fassung (NEO-PI-R). Manual. Göttingen: Hogrefe.