Von einem kleinen Großen soll nun die Rede sein, einem kümmerlichen Etwas auf vier Rädern, das sich anschickte, knatternd und im Schneckentempo einen Platz im Olymp der Automobile zu erklimmen. Es war das Jahr, in dem der legendäre Rennfahrer Fangio durch eine halsbrecherische Aufholjagd im Maserati 250 E auf dem Nürburgring den fünften Weltmeistertitel errang, und es war genau der 40. Jahrestag der Oktoberrevolution, der Machtübernahme der Bolschewisten im Jahr 1917, die eine radikale politische Umwälzung in Russland zur Folge hatte, als ein in Plastik gekleidetes Vehikelchen in Zwickau vom Förderband rollte - der Trabi Nr.l. Sein vollständiger Name »Trabant« kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Gefährte, Begleiter. Einen Monat zuvor war von den Russen bereits ein anderer »Gefährte« ins All gefeuert worden: Sputnik I, der erste künstliche Satellit. Die Namensgebung für das sozialistische Einheitsauto ist als Hommage auf den technischen Fortschritt im kommunistischen Bruderland zu verstehen.
Ausgestattet mit einem Zweitaktmotor und 26 PS, ernährte sich der rostfreie »Duroplastbomber« von einem Gemisch aus Benzin und Öl. Er stank fürchterlich und sah einfach hässlich aus. Er verkörperte wie kaum ein anderes Fahrzeug auf vier Rädern reizlose Formgebung und technische Rückständigkeit. Aber er wurde von seinen Besitzern geliebt wie ein eigenes Baby. Kein Wunder, wenn man mit diesem Baby bis zu 14 Jahren schwanger ging; denn das war die durchaus zu erwartende Lieferzeit für das Standardauto der DDR. Und was tat man daher gleich mit 18 Jahren, dem Erreichen der Volljährigkeit? Man füllte in einem Autohaus eine postkartengroße Anmeldung aus und wartete und wartete, während auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs der Käfer lief und lief und lief. Der Trabi galt als zuverlässig und unverwüstlich, beförderte Möbel, Kartoffelsäcke, Menschen und Tiere, zog schwere Wohnwagen oder diente als platzsparender Untersatz für ein Zwei-Personen-Zelt, Ein Lastesel, das gute Stück, wie einst das »T«-Modell von Ford. Etwa drei Millionen Trabis verließen die Montagehalle, ohne dass grundlegende konzeptionelle und stilistische Veränderungen vorgenommen wurden.
Doch im gnadenlosen Kampf ums Überleben haben nur solche Exemplare eine Chance, die den Mindestanforderungen an Geschwindigkeit, Kraft und Sicherheit genügen. Der »Sachsen-Porsche«, wie man den knatternden Zweitakter auch liebevoll nannte, war zu langsam, zu schwach, zu hässlich und mit seiner zarten Plastikhaut viel zu verletzlich. Drei Jahrzehnte hatte ihn das sozialistische Biotop vor den rauen Gepflogenheiten der Evolution bewahrt. Dann aber fiel die Mauer zwischen Ost und West, und die Welt der »Hight Tech«-Maschinen brach über den Kleinen herein. Noch in dem Augenblick, da man ihm den Gnadenstoß versetzte, wurde er zur Legende. Mit ihm, dem treuen Gefährten, trat man die erste Reise in eine neue Welt an und brach in eine Ungewisse Zukunft auf. Heute gilt der »Sechshunderteinser« als Sinnbild der neuen Freiheit und des Aufbruchs.
Die Liebe, die zahlreiche Besitzer für ihren Trabi hegten, bewahrte ihn vor der Ausrottung. Er avancierte in kürzester Zeit zum Kultobjekt mit einer Anhängerschaft von über 90 Fanclubs. Heute darf das sozialistische Einheitsauto alles das sein, was es früher nicht sein konnte - ein modernes Cabriolet, eine Limousine mit Heckflossen oder ein Landrover mit Überrollbügel. Der Phantasie, dem Trabi ein neues Outfit, eine ganz persönliche Note zu geben, scheint keine Grenze gesetzt. Auf dem weltweit größten Trabifahrer-Treffen in Zwickau glänzen er und seine Mutanten nun in allen möglichen Farben.