Es gibt gute Gründe, warum ältere Menschen häufiger zu Fuß unterwegs sind. Einer der wichtigsten ist der Spaß am Zufußgehen. Wer viel zu Fuß unterwegs ist, der hat auch große Freude daran, sich auf Schusters Rappen zu bewegen. Das zeigen die Ergebnisse einer neuen, noch nicht veröffentlichten Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen über ältere Fußgänger und Fußgängerinnen. Datengrundlage war eine Repräsentativbefragung von insgesamt 2.099 Personen im Alter ab 55 Jahren [1].
Andere Ursachen spielen dabei ebenfalls eine wichtige Rolle. Das belegen die Ergebnisse, die sich auf drei unterschiedliche Messungen des Zufußgehens beziehen. Bei der ersten handelt es sich um das berichtete Fußgängerverhalten der Befragten. Für dieses Verhalten wurde ein Summenwert aus den Einzelantworten auf drei Aussagen berechnet: „Es gehört zu meiner Lebensweise, viele Wege zu Fuß zu gehen.“, „Ich gehe auch gelegentlich längere Strecken zu Fuß.“ und „Ich bin häufiger zu Fuß unterwegs.“. Für jede dieser Aussagen konnten die Befragten zwischen 1 „trifft überhaupt nicht zu“ und 4 „trifft voll und ganz zu“ wählen. Die zweite Messung Häufigkeit des Zufußgehens (Exposition Zufußgehen) wurde durch eine ganz allgemeine Frage erfasst: „Wie häufig sind Sie in der Regel mit den verschiedenen Verkehrsmitteln unterwegs?“ (u. a. auch als Fußgänger bzw. Fußgängerin). Die Befragten konnten angeben, ob sie nie, seltener, mehrmals im Monat, einmal pro Woche, mehrmals pro Woche oder täglich zu Fuß unterwegs sind (mindestens etwa 100 Meter). Bei der dritten Messung Aktivitäten zu Fuß handelt es sich um einen Summenwert, der aus den Einzelantworten von 16 konkreten Aktivitäten gebildet wurde. Zu diesen gehören z. B. „Einkaufen“, „Freunde/Bekannte besuchen“, „zur Bank/Sparkasse“ gehen“, „Arztbesuch“ oder „zur Post gehen“. Die Antwortmöglichkeiten hierbei reichten von „nie“ bis „sehr oft/immer“.
Wie Bild 2 zeigt, konnte das berichtete Fußgängerverhalten am besten erklärt werden (64 % Varianzaufklärung). Die Häufigkeit des Zufußgehens (Exposition zu Fuß) sowie die Aktivitäten zu Fuß lassen sich dagegen deutlich schlechter erklären (jeweils 23 % Varianzaufklärung). Das Modell zeigt auch, wie stark sich verschiedene Personenmerkmale auf die Ausprägungen der drei Messungen des Zufußgehens auswirken. Die Einflussstärke des jeweiligen Merkmals wird durch die standardisierten Pfadkoeffizienten angegeben. Ein schwacher direkter Einfluss bzw. Effekt liegt vor, wenn ein solcher Koeffizient kleiner als .10 ist. Ein mittelstarker Effekt liegt bei einem Koeffizienten zwischen .30 und .50 vor, ein starker Effekt bei einem Koeffizienten ab .50. Vorangegangene Berechnungen hatten gezeigt, dass die wahrgenommenen eigenen Fähigkeiten für ein sicheres Zufußgehen sowie die persönlichen Erfahrungen von Fußgängern und Fußgängerinnen sich nicht auf den Umfang des Zufußgehens auswirken. Auch die Altersvariable innerhalb der Gruppe der ab 50-Jährigen konnte nicht als ein relevanter Einflussfaktor auf das Fußgängerverhalten und auf die berichteten Beinaheunfälle nachgewiesen werden.
Direkte Einflüsse auf das berichtete FußgängerverhaltenDer Gesamteinfluss bzw. -effekt eines Personenmerkmals auf das Fußgängerverhalten setzt sich aus dem vorhandenen direkten, unmittelbaren Einfluss und den zusätzlich auftretenden indirekten Einflüssen dieses Merkmals zusammen. Solche indirekten Einflüsse bestehen über den Einfluss anderer Merkmale. In Bild 2 sind durch die Pfadkoeffizienten lediglich die direkten Einflüsse angegeben. Danach zeigt sich ein einziger starker Effekt auf das berichtete Fußgängerverhalten: Je stärker die Begeisterung für das Zufußgehen ausgeprägt ist (.55), umso häufiger wird das Zufußgehen berichtet. Die übrigen Einflussfaktoren „Aktivitäten zu Fuß“ (.18), die „moralische Norm“ (.15), bei der das Zufußgehen mit einer Gewissensfrage verknüpft ist (z. B. „Ich bekomme ein schlechtes Gewissen, wenn ich zu wenig zu Fuß unterwegs bin“), die „wahrgenommene Unterstützung durch Freunde oder Bekannte“ (.08) und die „Einstellung, dass das Zufußgehen einen wichtigen Beitrag zur eigenen Gesundheit und zur Umwelt leistet“ (.08) liegen in ihrer direkten Einflussstärke deutlich darunter.
Gesamteffekte von Personenmerkmalen auf das ZufußgehenWird berücksichtigt, dass neben den direkten, unmittelbaren Einflüssen auf das Zufußgehen auch indirekte Einflüsse bestehen, kann durch Addition der beiden Einflussarten der Gesamteinfluss bzw. -effekt eines Merkmals angegeben werden. Demnach besteht ein starker Gesamteffekt der Begeisterung für das Zufußgehen auf das berichtete Fußgängerverhalten (.60). Der Gesamteffekt der moralischen Norm fällt mittelstark bis stark aus (.45), der der Einstellung, dass das Zufußgehen einen wichtigen Beitrag zur eigenen Gesundheit und zur Umwelt leistet, mittelstark (.30), der der wahrgenommenen Unterstützung durch Freunde oder Bekannte schwach bis mittelstark (.27), der der gesundheitlichen Beschwerden ebenfalls schwach bis mittelstark (-.25, nur indirekt), der für das Erledigen unterschiedlicher Aktivitäten zu Fuß eher schwach (.18) und der der Angst, bei Dunkelheit unterwegs zu sein, schwach (-.10, nur indirekt).
Der Gesamteffekt auf die Häufigkeit des Zufußgehens ist für das berichtete Fußgängerverhalten als mittelstark bis stark zu bezeichnen (.46), für die Begeisterung für das Zufußgehen als mittelstark (.30, nur indirekt), für die moralische Norm als schwach bis mittelstark (.21, nur indirekt) und als schwach für das Erledigen unterschiedlicher Aktivitäten zu Fuß (.19), für die Einstellung, dass das Zufußgehen einen wichtigen Beitrag zur eigenen Gesundheit und zur Umwelt leistet (.13, nur indirekt), für gesundheitliche Beschwerden (-.11, nur indirekt), für die wahrgenommene Unterstützung durch Freunde oder Bekannte (.06) und für die Angst, bei Dunkelheit unterwegs zu sein (-.06, nur indirekt).
Der Gesamteffekt auf die Aktivitäten zu Fuß fällt für die moralische Norm mittelstark aus (.30), für die Wahrnehmung der Unterstützung durch Freunde oder Bekannte ebenfalls mittelstark (.30), für die Begeisterung für das Zufußgehen schwach bis mittelstark (.26) und schwach für die Einstellung, dass das Zufußgehen einen wichtigen Beitrag zur eigenen Gesundheit und zur Umwelt leistet (.13, nur indirekt), für die Angst, bei Dunkelheit unterwegs zu sein (-.11) und für gesundheitliche Beschwerden (-.06). Im Falle der gesundheitlichen Beschwerden ist der Gesamteffekt (-.06) auf die Aktivitäten zu Fuß kleiner als der direkte Effekt (.11). Das liegt daran, dass der indirekte Effekt mit -.17 negativ ist. Das bedeutet Folgendes: Sind gesundheitliche Beschwerden mit einer geringen Begeisterung für das Zufußgehen verknüpft, führt dies dazu, dass eine Person weniger zu Fuß ihre Aktivitäten erledigt. Die Einflussstärke der Begeisterung für das Zufußgehen auf die Aktivitäten zu Fuß fällt etwas geringer aus als für das berichtete Fußgängerverhalten und die Häufigkeit des Zufußgehens. Möglicherweise liegt es daran, dass viele der Aktivitäten notwendige Unternehmungen sind (z.B. Arztbesuch), für die eine Begeisterung für das Zufußgehen nicht unbedingt Voraussetzung ist, insbesondere dann, wenn die Wege dorthin relativ kurz sind.
Gesamteffekte von Personenmerkmalen auf berichtete BeinaheunfälleDer Gesamteffekt auf die berichteten Beinaheunfälle ist für gesundheitliche Beschwerden schwach bis mittelstark (.23) ausgeprägt und schwach der für das berichtete Fußgängerverhalten (.16), der für das Erledigen unterschiedlicher Aktivitäten zu Fuß (.16), der für die moralische Norm (.07, nur indirekt), der für die wahrgenommene Unterstützung durch Freunde oder Bekannte (.05, nur indirekt) und der für die Begeisterung für das Zufußgehen (.003). Im letzten Fall ist der Gesamteffekt (.003) deutlich niedriger als der indirekte Effekt (.13). Der Gesamteffekt setzt sich hier aus einem negativen direkten (-.13) und einem positiven indirekten (.13) Effekt zusammen. Konkret bedeutet dies, dass die Begeisterung für das Zufußgehen die Wahrscheinlichkeit eines Beinaheunfalls erhöht (und nicht verringert), wenn damit auch eine stärkere Exposition des Zufußgehens einhergeht.
Wird im Modell die Variable „Beinaheunfall“ durch die Variable „berichtete Unfallbeteiligung als Fußgänger“ ersetzt, beträgt der Erklärungsbeitrag der Modellkomponenten für die Unfallbeteiligung lediglich 9,8 %. Erklärt werden kann dieser Umstand u. a. mit den in dieser Studie nicht berücksichtigten Einflüssen bestimmter Kompetenzen oder situativer Gegebenheiten.
Weitere ErgebnisseDie Begeisterung für das Zufußgehen ist umso stärker ausgeprägt, je geringer die gesundheitlichen Beschwerden (-.32), je stärker die Einstellung ausgeprägt ist, dass das Zufußgehen einen wichtigen Beitrag zur eigenen Gesundheit und zur Umwelt leistet (.27), je stärker die Unterstützung durch Freunde oder Bekannte wahrgenommen wird (.25), je stärker die moralische Norm ausgeprägt ist (.18) und je geringer die Angst ist, bei Dunkelheit zu Fuß unterwegs zu sein (-.14).
Die Unterstützung durch Freunde oder Bekannte wird umso stärker wahrgenommen, je stärker die moralische Norm ausgeprägt ist (.26), je stärker die Einstellung ausgeprägt ist, dass das Zufußgehen einen wichtigen Beitrag zur eigenen Gesundheit und zur Umwelt leistet (.18) und je geringer die gesundheitlichen Beschwerden sind (-.16).
Die Ängste, die Personen bei Dunkelheit haben, wenn sie allein unterwegs sind, sind umso stärker vorhanden, je stärker die gesundheitlichen Beschwerden (.38) und je stärker die moralische Norm ausgeprägt ist (.09).
Die Einstellung, dass das Zufußgehen einen wichtigen Beitrag zur eigenen Gesundheit und zur Umwelt leistet, ist umso stärker ausgeprägt, je stärker die moralische Norm (.36) ausgeprägt ist und je geringer die gesundheitlichen Beschwerden sind (-.12).
ResümeeDie Prüfung des theoretischen Modells zum Fußgängerverhalten bestätigt die Bedeutung verkehrssicherheitsrelevanter Einstellungen und Erwartungen von Fußgängern und Fußgängerinnen, die sich im Kontext von persönlichen Erfahrungen und infrastruktureller Gegebenheiten ausbilden. Er zeigt jedoch auch überraschend, dass die wahrgenommenen Kompetenzen für ein sicheres Zufußgehen (Handlungskompetenzerwartung) sowie die persönlichen Erfahrungen von Fußgängern und Fußgängerinnen sich nicht auf die Häufigkeit des Zufußgehens auswirken. Das „normale“ Zufußgehen ist eine relativ einfache Aufgabe, die nicht gleichzusetzen ist mit dem Queren einer stark befahrenen Straße als Fußgänger oder dem riskanten Autofahren in schwierigen Fahrsituationen. Zur Erklärung einer riskanten Fahrweise hat sich das Konzept der Handlungskompetenzerwartung in mehreren BASt-Studien als nützlich erwiesen. Bei einer einfachen Aufgabe wie das normale Zufußgehen greift dieses Konzept jedoch nicht zur Erklärung der Exposition des Zufußgehens.
Die Überzeugung allein, dass das Zufußgehen einen wichtigen Beitrag zur eigenen Gesundheit und zur Umwelt leistet, ist keine besonders starke Triebkraft, selbst häufiger zu Fuß unterwegs zu sein. Etwas stärker wirkt sich ein schlechtes Gewissen auf das Zufußgehen aus (hohe Ausprägung der moralischen Norm), wenn eine Person erkennt, dass sie zu wenig zu Fuß unterwegs ist. Ein starker Impuls, zu Fuß unterwegs zu sein, geht von der Begeisterung für das Zufußgehen aus. Ausschließlich sachliche Argumente für das Zufußgehen werden in vielen Fällen daher nicht genügen, älteren Menschen das Zufußgehen schmackhaft zu machen. Es muss vor allem auch Spaß machen, Wege zu Fuß zurückzulegen - alleine oder mit Anderen. Der Spaß an der Sache entwickelt sich nicht allein von innen heraus. Er wird auch gefördert durch eine sichere, rücksichtsvolle und attraktive Verkehrsumwelt.
Literatur
[1] Holte, H. (im Druck). Ältere Fußgänger - Voraussetzungen einer problemfreien und sicheren Verkehrsteilnahme aus psychologischer Sicht. Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bremen: Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH.